Interview

„Wir werden objektiv ärmer“

Portraitfoto von Finanzminister Dr. Danyal Bayaz

Im Interview mit dem Südkurier erzählt Finanzminister Dr. Danyal Bayaz, wie sich die Leitzinserhöhung für die Bürgerinnen und Bürger bemerkbar machen wird und welche Mittel die Politik gegen die Inflation ergreift.

Herr Bayaz, wie schnell merken die Bürger die Leitzinserhöhung in ihrer eigenen Tasche?
Einige merken es schon jetzt. Nehmen wir die Änderung der Finanzierungskonditionen bei Häuslebauern, also bei Baukrediten. Im Vergleich zum Jahresanfang haben diese sich spürbar verteuert. Auch Unternehmen oder der Staat werden mittelfristig höhere Zinsen zahlen müssen. Aber genau das ist ja auch der Sinn hinter der Zinswende: weg von Niedrigst- und Negativzinsen. Perspektivisch werden Sparer auch wieder mehr für ihr Geld bekommen. Allerdings fressen 8 Prozent Inflation das natürlich wieder auf. Das ist ein Problem.

Im Moment wird im Land über den nächsten Doppelhaushalt verhandelt. Wirkt sich die Leitzinserhöhung unmittelbar darauf aus?
Unmittelbar nicht. Aber die Inflation wirkt sich aus. Manche meinen ja, der Staat sei der heimliche Profiteur der Inflation, weil er seine Schulden weginflationiert. Das mag langfristig für Staaten mit sehr hohen Schulden der Fall sein. Wir als Landesverwaltung, die sehr viel operatives Geschäft macht, leiden aber unter der Inflation genauso wie Privathaushalte oder Unternehmen. Wir haben 8000 Gebäude, die wir bei steigenden Energiepreisen beheizen müssen, unsere Baukosten bei unseren vielen Bauprojekten im Land laufen uns davon und wir werden uns auf deutlich höhere Tarifsteigerungen einstellen müssen. All das belastet unseren Haushalt sehr.

Welche Steuerungsmittel hat die Politik gegen die Inflation?
Das eine ist die Geldpolitik, das ist die Aufgabe der EZB. Steigende Zinsen dämpfen allerdings auch die Konjunktur. Genau das ist ja das Dilemma der Zentralbank. Was wir in der Politik machen können und müssen, ist, die Menschen zu entlasten.
Die beiden großen Entlastungspakete muss man jetzt erst einmal wirken lassen. Die waren aber auch nicht zielgenau genug. Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket, Energiepauschale, Steuererleichterungen – da war für jeden was dabei, auch für
Spitzenverdiener. Den Fehler sollten wir nicht wiederholen. Wenn Menschen statt 1500 Euro Gasrechnung dann auf einmal 5000 Euro bezahlen sollen und es nicht können, dann geht das an die Substanz. Für mich wäre denkbar: Erstens die
Regelsätze der Grundsicherung anpassen und zweitens niedrige Einkommen gezielt entlasten. Statt der geplanten Energiepauschale für jeden wäre ein Härtefallfonds für Menschen, die ihre Strom- oder Gasrechnung schlicht nicht mehr bezahlen können, sinnvoller.

Sind wir schon in einer Rezession?
Wir kommen ja aus der Pandemie. Viele Leute hatten gute Reserven, weil Urlaube und Restaurantbesuche ausfielen, Unternehmen haben Investitionen aufgeschoben. Die ursprüngliche Prognose für dieses Jahr war mal bei etwa 4 Prozent. Dann hat Putin die Ukraine angegriffen, Energie wurde knapp und teuer. Die Frühjahrsprognose der Bundesregierung lag im Mai bei 2,3 Prozent, die ist für uns so wichtig, weil sie die Grundlage der Steuerschätzung ist. Unser Haushaltsentwurf fußt auf diesen Zahlen. Mittlerweile Gehen viele Institute von nur noch eineinhalb Prozent, vielleicht sogar noch bei weniger für das gesamte Jahr aus. Deshalb habe ich beim Bundesfinanzminister angeregt, im Sommer noch eine neue Steuerschätzung vorzunehmen. Das würde uns helfen, auf valideren Zahlen zu planen. Wir sind im Moment im Blindflug unterwegs. Wir sind in einer extrem risikobehafteten Situation, vor allem was die konjunkturelle Lage betrifft. Wir kenne die Risiken – Pandemie, Lieferketten, Krieg, Inflation, Gasmangellage – aber finanzpolitisch können wir das alles im Moment noch nicht übersetzen. Deshalb verstehe ich mich im Moment in erster Linie als Risikomanager, um mit den Risiken möglichst verantwortungsvoll umzugehen und im Haushalt Vorsorge zu treffen. Aber alles auffangen könne wir auch nicht. Und das bereits uns gerade schon schlaflose Nächte. Eine Rezession ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich.

Die schwäbische Hausfrau fragt sich gerade, was sie mit ihrem Geld im Sparstrumpf machen soll. Das sind ja oft Zehntausende von Euro. Haben Sie einen Rat?
Ich bin ja Finanzminister und kein Anlageberater. Es ist aber wahrscheinlich nicht der ideale Zeitpunkt, am Kapitalmarkt einzusteigen. Die Situation sollte man ernst nehmen, aber auch nicht panisch werden. 100 Euro sind bei einer Inflation
von acht Prozent am Jahresende nur noch 92 Euro an Kaufkraft. Das schmerzt, aber es ist so: wir werden objektiv ärmer. Die Reserve wird also weniger, aber sie hat sie noch. Wir stehen als Staat in der Verantwortung, für diejenigen zu sorgen, die keinen Sparstrumpf haben.

Quelle:

Das Interview erschien am 22. Juli 2022 im Südkurier.

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