Sehr geehrter Herr Generalleutnant Sollfrank,
sehr geehrte Familie von Stauffenberg,
sehr geehrte Damen und Herren,
Soldatinnen und Soldaten,
sehr geehrte Abgeordnete,
in diesem Jahr begehen wir viele Jubiläen und wichtige Jahrestage. Besonders unsere Demokratie feiert einschneidende Wegmarken.
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175 Jahre Paulskirchenverfassung
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105 Jahre Weimarer Verfassung
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75 Jahre Grundgesetz und 75 Jahre NATO
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35 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall.
Der 20. Juli vor 80 Jahren kann nur in diesem gesamthistorischen Kontext angemessen gewürdigt werden. Es war ein heller Tag im dunkelsten Teil unserer Geschichte. Dass Sie mich zu diesem Anlass, an diesen Ort hier heute eingeladen haben, um zu Ihnen zu sprechen, das erfüllt mich mit Demut und ist mir eine persönliche Ehre.
Wir gedenken heute dem militärischen Widerstand im Nationalsozialismus, während zeitgleich - auch in diesem Augenblick - in der Ukraine ein schrecklicher Krieg tobt - mitten in Europa.
Nur wenige hundert Kilometer entfernt von dem Ort, an dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg damit scheiterte, Hitlers Herrschaft zu beenden.
Und nur wenige Kilometer entfernt von der NATO-Ostgrenze.
Dieser Krieg wird geführt vom russischen Diktator, weil er nichts mehr fürchtet als eine freie, souveräne und demokratische Ukraine.
Denn die Freiheit der Demokratie, das ist immer noch der größte Feind von Autokraten und Diktatoren.
Das weiß Wladimir Putin. Er will eben nicht, dass die Ukraine ein Vorbild für Russland sein kann.
Die Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg waren nicht alle Demokraten. Einige von ihnen habe lange gebraucht, um sich von dem Krieg der Nazis innerlich zu distanzieren - ehe sie dann in den aktiven Widerstand gegangen sind.
Das ist sicher einer der Gründe, warum auch heute noch über Motive und den Antrieb der Widerstandskämpfer kontrovers diskutiert wird.
Erst im Frühjahr ist ein Buch erschienen, das als Kernthese den Stauffenberg-Mythos als Deutsches Alibi herausarbeitet.
Aber Kontroversen zu diskutieren, das gehört gerade zu den Errungenschaften unserer Bundesrepublik. Es ist die Stärke einer Demokratie, dass unterschiedliche Sichtweisen offen erörtert werden.
Ich persönlich möchte heute allerdings Motive und Einstellungen der Widerstandskämpfer 80 Jahre später gar nicht werten. Sie müssen auch vor dem Hintergrund ihrer Zeit verstanden werden. Wir können nicht einfach unsere heutigen Maßstäbe an sie anlegen.
Unsere Erinnerungskultur in der Bundesrepublik ist eine sehr spezifische Besonderheit und sie ist eine Stärke unserer Demokratie, auf die ich persönlich auch besonders stolz bin.
Nicht ohne Grund fordern die Feinde unserer liberalen Gesellschaft eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.
Sie wissen um die Macht der Erinnerung an das Grauen und die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus.
Grauen und Unmenschlichkeit sind uns am 07. Oktober des vergangenen Jahres wieder begegnet.
Der Terrorangriff der Hamas auf Israel hat neben dem russischen Angriffskrieg auch die Geister des Antisemitismus in Europa und überall auf der Welt wieder aus ihren dunklen Verstecken gelockt.
Das jüdische Leben ist nirgendwo mehr, wie es vor diesem Tag war.
Aus Geschichte ist für Jüdinnen und Juden Gegenwart geworden.
Wenn ich in Gesprächen mit jüdischen Mitbürgern erfahre, dass sie hier in Deutschland, und zwar nicht nur in Berlin-Neukölln, sondern auch bei uns in Baden-Württemberg, ihre Kippa aus Angst und Sorge nicht mehr tragen, dann schäme ich mich zutiefst.
Wegen des kriegerischen Agierens Russlands hat der Bundeskanzler im Februar 2022 eine Zeitenwende ausgerufen.
Der Terrorangriff der Hamas hat die internationale Sicherheitslage zusätzlich verschärft. Auch im inneren wird unsere Freiheit bedroht. Die einen träumen von der Remigration, die anderen vom Kalifat.
Beide sind Feinde der offenen Gesellschaft - und müssen genauso behandelt werden.
Durch unsere Vergangenheit haben wir in diesen Konflikten eine besondere Verantwortung.
Die Zeitenwende darf nicht nur Teil von Reden sein.
Wer von Zeitenwende spricht, muss diese auch durch Taten mit Leben füllen. In der Politik, in unserer Gesellschaft, in unseren Streitkräften - ich komme noch darauf zu sprechen.
Auch wenn Stauffenberg und seine Mitstreiter teils länger gebraucht haben, um sich für den Widerstand zu entscheiden:
Sie haben ihren Worten und Plänen Taten folgen lassen.
Und dabei wussten sie um die möglichen Folgen.
Die Jüdische Allgemeine hatte vor zwei Jahren darauf hingewiesen, dass einige Männer des 20. Juli vor ihrem Widerstand teils große Schuld auf sich geladen haben.
Dennoch müssen wir würdigen, dass sie versucht haben, ihre Fehler zu korrigieren - und zwar - und das ist das Entscheidende - unter Einsatz ihres Lebens.
Sie sind ihrem Gewissen gefolgt, nicht ihren Befehlen.
So werde ich den Widerstand um Graf von Stauffenberg heute nicht relativieren. Denn Stauffenberg und seine Mitstreiter wussten, dass sie dieses Attentat das Leben kosten könnte. Sie haben ihr Leben riskiert, um Hitler zu töten.
Stauffenberg war mutig und er war konsequent, buchstäblich und im besten Sinne ein Überzeugungstäter.
Und wenn jeder und jede von uns für einen Moment die Augen schließt und wir uns ganz ehrlich selbst fragen, ob man selbst diesen Mut, diese Konsequenz des Handels aufgebracht hätte, dann stockt einem für einen Moment der Atem.
Tragischer weise war dieser Mut nicht von Erfolg gekrönt.
Erst vorletzte Woche war ich in Berlin und bin auf dem Weg zu einem Termin am Bendler Block vorbeigelaufen. Im Hof bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand kann man Kulisse und die dort statt gefundene Geschichte auf sich wirken lassen. Hier spürt man regelrecht, dass hier Männer ihr Leben für das Gute und Richtige gelassen haben, allen voran Graf von Stauffenberg.
Dolf Starnberger schrieb zum 40. Jahrestag des 20. Juli in der FAZ:
„Im äußersten Wagnis haben sie ihre Existenz eingesetzt. Wer die Last und die Größe der moralischen Entscheidungen nicht wahrzunehmen vermag, der sollte sich lieber bequemeren Themen zuwenden . . . es gibt Augenblicke des Heldentums. Sie zu löschen hieße, Geschichte in einen Sumpf der Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen.“
So hat das Gedenken an den militärischen Widerstand und seine Protagonisten seinen festen Ort.
Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass neben dem militärischen auch ziviler Widerstand im Südwesten und im ganzen Land stattfand.
Auch das gehört zum Gesamtbild.
Hans und Sophie Scholl sind die bekanntesten Namen dieses Widerstands aus dem Südwesten. Ihre Weiße Rose ist das symbolgebende Beispiel für den zivil-bürgerlichen Kampf gegen das NS-Regime.
In der Ulmer Denkstätte Weiße Rose wird an ihren Widerstand erinnert. Einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend haben die Geschwister Scholl in Ulm verbracht. Im Widerstand waren sie in München. Meine Frau ist Münchnerin und hat an der LMU studiert. Und sie zeigte mir neulich die Gedenkstätte im Universitätsgebäude ihrer Alma Mater.
Und wenn man dort in der Säulenhalle steht und sich vorstellt, wie die junge Sophie Scholl hier Flugblätter gegen den Nationalsozialismus verteilt hat, auch dann kommen einem dieselben Gefühle wie, ich sie gerade für den Bendler Block beschrieben habe. Was für ein unfassbarer Mut.
Das Pfarrer-Paar Otto und Gertrud Mörike war Teil des kirchlichen Widerstands. Dabei handelten sie, wie es ihrem christlicheren Glauben entsprach: menschlich, mitfühlend und hilfsbereit.
In Kirchheim und im Kreis Böblingen kümmerte sich das Paar im Vorborgenen um Opfer und Verfolgte. Sie schrieben Briefe und schickten Lebensmittel an Angehörige von Inhaftierten. Jüdinnen und Juden gaben sie ein Versteck und halfen Ihnen bei der Flucht.
Für dieses Handeln wurde das Paar vom Staat Israel ausgezeichnet.
Das Unternehmen Bosch förderte den Widerstand von Carl Friedrich Goerdeler. Goerdeler wiederum stand in Kontakt mit den Widerstandkämpfern des 20. Juli. Er stand auch in Verbindung mit dem ehemaligen Württembergische Staatspräsident Eugen Bolz, einem Hauptgegner der Nationalsozialisten in Württemberg.
Es gibt weitere Menschen, die bei uns aktiv Widerstand geleistet haben.
Und bis weit nach dem Krieg wurden diese Widerstandskämpfer mehrheitlich als Verräter angesehen.
Das wohl am häufigsten wiedergegebene Zitat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg lautet, ich zitiere:
„Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“
Stauffenberg sollte zumindest für den innerdeutschen Blick auf seine Tat lange Recht behalten.
Aber nach Außen wurde sein Widerstand gerne als Bild vom anderen Deutschland genutzt - von einem Deutschland, in dem eben nicht alle Nazis gewesen waren.
Hier erwies sich Stauffenbergs Mitstreiter Henning von Tresckow als weitsichtig. Als intern Zweifel an den Plänen der Widerstandsgruppe laut wurden, soll er erwidert haben:
„Das Attentat auf Hitler muss erfolgen, um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“
Den Widerstandskämpfern des 20. Juli war also sehr klar, welche Bedeutung und welche Folgen ihre Pläne hatten.
Gerade auch das spricht gegen die Relativierung ihrer Taten.
Ich habe davon gesprochen, dass der 20.Juli nur im Gesamtkontext unserer Geschichte eingeordnet werden kann.
Das hat Bundespräsident Gustav Heinemann in seiner Rede am 19. Juli 1969 in der Gedenkstätte Plötzensee getan.
Auch er hat an den zivilen Widerstand erinnert. 1969 war das noch ungewöhnlich.
Und er mahnte, dass wohl auch ein geglückter Anschlag nicht den ich zitiere "Wahn des Nationalismus" beendet hätte. Später wies er darauf hin, dass ein nationalbewusster Deutscher nur Europäer sein könne.
Heinemann hat aus persönlicher Erfahrung gesprochen. Als früheres Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche hat er die Stuttgarter Erklärung vom Oktober 1945 mitgezeichnet.
Darin bekannte sich die evangelische Kirche zu der Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Zu wenige in der Kirche haben gehandelt wie das Ehepaar Mörike.
Und Heinemann wies darauf hin, dass wir nicht aus eigener Kraft zu der freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik gelangt sind. Die Siegesmächte haben sie zu uns ins Land gebracht. Allerdings konnten sie auch an demokratische Traditionen anknüpfen, die es auch bei uns gab.
Damit sind wir bei den Jubiläen, die ich eingangs erwähnt habe. Die Geschichte unseres Landes und unserer Demokratie verläuft nicht linear. Bei der von mir erwähnten Erinnerungskultur kommen einem sofort die Zeit von 1933 bis 1945 und der Holocaust in den Sinn.
Dabei können wir demokratiehistorisch auch auf ganz andere Ereignisse blicken. Und damit auf eine positive Seite Deutscher Geschichte.
Nächste Woche feiern wir in Rastatt den Jahrestag der Badischen Revolution. Die Wiege unserer Demokratie befindet sich bei uns im Südwesten.
Der badische Aufstand vor 175 Jahren galt als Teil der Märzrevolution als besonders radikal.
Warum? Weil Protagonisten wie Friedrich Hecker oder Gustav Struve sich nicht mit dem Fortbestand der Monarchie oder Herzogtümern arrangieren wollten.
Ihr Ziel war die Schaffung einer demokratischen Republik.
Das war radikal, radikal demokratisch - und damit waren sie und ihre Mitstreiter in Baden ihrer Zeit weit voraus.
Gustav Heinemanns Urgroßvater war Beteiligter der Märzrevolution und gab diese politische Tradition an seine Familie weiter. Der spätere Bundespräsident brachte seinem Enkel schon als Kind das Heckerlied bei. Darin werden dem herrschenden Adel der Widerstand und eine freie deutsche Republik zum erträumten Ziel erklärt.
Vor 175 Jahren ging der Widerstand hauptsächlich von den Bürgerinnen und Bürgern aus. Aber in Rastatt unterstellte sich auch die Festungsgarnison der demokratisch gewählten Regierung.
Auch hier sind Soldaten ihrem Gewissen gefolgt.
Obwohl die Märzrevolution 1848/49 scheiterte, betrachten wir sie heute demokratiehistorisch als Erfolg. Der Widerstand, der sich damals gegen das feudale System richtete, ebnete den Weg in die Moderne - Fortschritt im Scheitern.
Damals wurden Schwarz, Rot und Gold zu den Farben des deutschen Republikanismus.
Die Paulskirchenverfassung enthielt wichtige Grundrechte, die auch heute unser Grundgesetz und damit unsere liberale Demokratie ausmachen.
Vor 105 Jahren mit der Weimarer Verfassung wurden dann freie Wahlen für Männer und Frauen deutsche Realität. Ein weiterer Meilenstein unserer Geschichte. Diese Realität hielt nicht lange und das dunkelste Kapitel Deutschlands begann.
Und in diesem dunklen Kapitel gab es die Männer und Frauen des Widerstands, die für eine bessere Zukunft gekämpft haben. Außerhalb von Demokratien bedeutet das oft, sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Die März-Revolutionäre kannten demokratische Reformen ebenso wenig wie die Widerstandsgruppe des 20.Juli.
Das macht es umso bedeutender, dass die Widerstandskämpfer um Stauffenberg auch Kontakt nach außen, außerhalb des Militärs gesucht haben. Ich habe Eugen Bolz erwähnt. Er sollte bei einem Erfolg der Umsturzpläne ein Ministeramt erhalten.
Das Scheitern des Widerstands besiegelte dann auch sein Todesurteil. Wie das vieler mutiger Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Aufbauend auf den negativen Erfahrungen unserer Geschichte haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes der Bundesrepublik vor 75 Jahren einen Rahmen gegeben, auf den viele Demokraten auf der Welt mit größtem Respekt blicken.
Einen Rahmen, der seit der friedlichen Revolution vor 35 Jahren auch für die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR gilt.
Und weil die Architekten des Grundgesetzes davon ausgingen, dass ihr Werk auch Lücken enthalten und nicht perfekt sein könnte, haben sie die Möglichkeit zu Weiterentwicklung vorgesehen.
Lediglich den Kern unserer Grundrechte, den demokratischen Grundgedanken und unsere republikanische Verfasstheit in einem föderalen Staat haben Sie mit einer Ewigkeitsgarantie versehen.
Unsere Wehrverfassung wurde erst 1956 ins Grundgesetz aufgenommen. Das wurde nötig, weil die Bundesrepublik nach ihrer Demilitarisierung erst 1955 als Mitglied in die NATO aufgenommen wurde.
Die Westanbindung der jungen Bundesrepublik legte so nicht nur den Grundstein für unser Wirtschaftswunder, sondern auch für unsere Sicherheit.
Ich bin Heidelberger. Dort waren lange das NATO-Hauptquartier und die US-Amerikaner stationiert. Ich bin mit GIs vor der Tür aufgewachsen. Das hat mein Verständnis von Sicherheit geprägt. Ich glaube so geht es vielen von uns. Und dieses Kollektivgefühl von Sicherheit unter dem Schirm der US-Amerikaner begleitet uns bis heute.
Und wenn man sich den aktuellen Zustand der Demokratie in den Vereinigten Staaten anschaut, dann schmerzt der Anblick. Nicht nur, weil ich dort viele Freunde und Bekannte habe, sondern weil uns allen vor Augen geführt wird, dass wir als Bundesrepublik, dass wir als Europäer noch nicht erwachsen, noch nicht voll verteidigungsfähig sind.
Wir haben die langjährige Forderung der US-Amerikaner für das Einhalten des Zwei-Prozent Ziels ignoriert. Selbst als Donald Trump 2016 Präsident wurde, hat es uns wenig beeindruckt, mehr in die eigene Sicherheit zu investieren. Russland musste erst die Ukraine überfallen, um wach zu werden. Und nun haben die USA auf dem Nato-Gipfel vor zwei Wochen angekündigt, wieder Flugmarschkörper in Deutschland stationieren zu wollen. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle kurz eine Bemerkung mit Blick auf das Attentat auf Donald Trump vergangenes Wochenende: Heute gedenken wir eines gescheiterten Attentats, das den Lauf der Geschichte hätte verändern können. Ein Attentat auf einen Massenmörder und Diktator.
Davon scharf zu unterscheiden ist ein Attentat auf einen Politiker, dem wir aus guten Gründen sehr kritisch gegenüberstehen mögen. Der aber Teil einer Demokratie ist. Solch ein Attentat ist im Gegensatz zum 20. Juli 1944 nie zu rechtfertigen.
In der Rückschau mögen einem so manche Diskussion sonderbar vorkommen. Damals gingen harte innenpolitische Auseinandersetzungen mit Entscheidungen zur NATO einher. Der NATO-Doppelbeschluss führte letztlich sogar zu einem Regierungswechsel in der Bundesrepublik.
Für eine Demokratie ist das normal. Das harte Ringen um Kompromisse und bestmögliche Lösungen für das Land gehört dazu. Wolfgang Schäuble, ein besonderes Kind unseres Landes, das vor Kurzem gestorben ist, hat es mal so zusammengefasst:
Eine Demokratie sei eine Zumutung und nicht nur ein Supermarkt für Schnäppchenjäger, der nach dem besten Angebot Ausschau hält.
Damit hat er es gut ausgedrückt und wollte vor einer Bequemlichkeit der Mitte unserer Gesellschaft warnen.
So eine Bequemlichkeit hatte sich nach der Wiedervereinigung an manchen Stellen eingestellt. Die Konflikte und Kontroversen um unsere Verteidigung sind bei vielen in Vergessenheit geraten. 2011 wurde die Wehrpflicht in der Bundesrepublik ausgesetzt.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR Demokratie und Marktwirtschaft endgültig durchgesetzt hätten. Diese Einstellung herrschte auch bei uns.
Heute wissen wir, dass Fukuyama falsch lag.
Auch die NATO feiert dieses Jahr ihren 75. Geburtstag. Vergangene Woche wurde das in Washington gefeiert. Kurz vorher hat Russland bei massiven Angriffen auf die Ukraine unter anderem eine Kinderklinik in Kiew zerstört.
Diese Klinik war spezialisiert auf die Behandlung von Kinderkrebs. Ich selbst habe den Wehrdienst verweigert. Nicht, weil ich ihn abgelehnt habe. Aber ich habe mehr Nutzen für die Gesellschaft darin gehen, meinen Zivildienst in einer Heidelberger Krebs-Klinik zu leisten.
Ich weiß nicht, wie meine Entscheidung heute ausfallen würde.
Und ich finde es mutig von Boris Pistorius, dass er eine Debatte über neue Formen der Wehrpflicht angestoßen hat. Wohlwissend, dass er uns, dass er der deutschen Gesellschaft mit dieser Debatte auch etwas zumutet.
Aber der russische Angriffskrieg, der Konflikt im Nahen Osten und das machtpolitische Agieren Chinas zeigen, wie wichtig die Bundeswehr für unsere Demokratie und unsere Freiheit ist. Nicht ohne Grund legen Sie Ihren Eid auf die Bundesrepublik Deutschland und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes ab.
Der Verteidigungsminister hat gesagt, wir müssen kriegstüchtig werden. In der Sache hat er Recht. Aber ich finde verteidigungstüchtig und beistandsfähig sind bessere Begriffe dafür, was der Minister ausdrücken wollte.
Hier in Ulm beim Multinationalen Kommando Operative Führung wissen Sie, was ich damit meine. Den Schutz und Beistand, den wir durch die NATO und da vor allem durch die USA genießen, müssen wir auch anderen garantieren. Und in Zeiten schwieriger Wahlen und Regierungsbildungen in einigen NATO-Ländern dürfen wir uns nicht nur auf andere verlassen.
Wir müssen unsere Sicherheit selbst stärker in die eigene Hand nehmen.
Mein Metier sind die Finanzen. Sie haben auch etwas mit unserer Sicherheit zu tun. Wir müssen gewährleisten, dass diese Sicherheit dauerhaft mit ausreichenden Mitteln ausgestattet ist. Ich stecke gerade mitten in Haushaltsverhandlungen und kann ihnen sagen: die Zeitenwende haben wir auch in der Finanzpolitik.
Das Geld sitzt nicht mehr so locker, die Investitionsbedarfe in Sicherheit - und zwar in digitale Sicherheit, in Energiesicherheit, in die innere und äußere Sicherheit sind enorm.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat gesagt, das Bundeswehr-Sondervermögen mildere die über 30 Jahre durch die Friedensdividende entstandene Lücke.
Aber bei unserer Sicherheit darf es nicht um das Mildern von Lücken gehen.
Unsere Demokratie, unsere Freiheit sind bedroht wie seit Jahrzehnten nicht - von innen durch Rechts- und Linksextremismus sowie den Islamismus, der sich nach dem Terror der Hamas im Aufwind sieht.
Und von außen, durch einen Block autoritärer Staaten, die von Russland, über Nordkorea bis in den Iran unsere Grenzen testen. Da machen wir uns bitte keine Illusionen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird.
Wer von Zeitenwende spricht, der muss das auch in seinem Regierungshandeln dokumentieren. Ich persönlich bin erleichtert, dass sich die Bundesregierung auf einen Haushalt einigen konnte.
Gleichzeitig bin ich sicher, dass er nicht die letzte Antwort auf die neue sicherheitspolitische Realität ist. Wir müssen dauerhaft und ohne jeden Zweifel unsere NATO-Finanzierungsziele erreichen - für unsere eigene Verteidigungstüchtigkeit und für unsere Beistandsfähigkeit.
Wir können es uns nicht leisten, jedes Jahr aufs Neue unsere Sicherheitsinvestitionen im Kontext von Tages- und Parteipolitik zur Disposition stellen. Hier braucht es Verlässlichkeit. Gegenüber uns selbst und gegenüber unseren Bündnispartnern.
Mehrere Reformvorschläge zu unseren Fiskalregeln liegen dazu auf dem Tisch. Wir sollten sie ernsthaft prüfen.
Jetzt habe ich auch ein paar Themen angeschnitten, die meine landespolitische Kompetenz eindeutig überschreiten.
Und bevor Missverständnisse oder Gerüchte entstehen: Ministerpräsident Kretschmann, von dem ich Sie recht herzlich grüßen darf, hat nicht vor, einen baden-württembergischen Verteidigungsminister zu berufen.
Aber wir werden auch als Landesregierung unseren Beitrag leisten, z.B. über unseren Bundesbau Baden-Württemberg, der zu meinem Verantwortungsbereich gehört. Er ist Teil der Bauverwaltung unseres Landes.
Der Bundesbau nimmt im Vergleich zu anderen Ländern bei wichtigen militärischen Aufgaben bundesweit eine Vorreiterrolle ein. Er ist zuständig für die Neukonzeption der Munitionsbevorratung der Bundeswehr in über 400 Lagerstätten in der Bundesrepublik. Und er steuert die Planung und Realisierung des Hughes Air Defense Radar-Systems. Der Bundesbau ist dabei die einzige Landesbauverwaltung, die die Bundeswehr in ihren Einsatzgebieten baulich unterstützt.
Baden-Württemberg ist nicht nur das Land der Tüftlerinnen und Ingenieure, sondern auch das der Dichterinnen und Denker. Als Schüler des Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums war Claus Schenk Graf von Stauffenberg gut vertraut mit Friedrich Schillers Wilhelm Tell. Darin heißt es:
"Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“
Dieser Schwur zeugt von Aufsässigkeit - von Aufsässigkeit gegen Unterdrückung. Und er zeugt von dem Streben nach Freiheit.
Aufsässig gegen Unterdrückung müssen wir heute in der Bundesrepublik nicht sein. Aber Wachsam gegen die inneren und äußeren Feinde unserer Demokratie, die unsere Freiheit bedrohen.
Auch das lehrt uns das Gedenken an den 20. Juli. Und daraus erwächst Verantwortung für uns alle.
Vielen Dank.