Finanzminister Danyal Bayaz spricht im Interview unter anderem über gefährdete Projekte durch das Karlsruher Urteil und die nächsten Schritte.
Herr Bayaz, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen dem Bundeshaushalt 60 Milliarden Euro im Bereich Klima und Transformation. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat eine Ausgabensperre auch für zahlreiche andere Etats verfügt. Was bedeutet das für Baden-Württemberg?
Auf unseren laufenden Haushalt hat das Urteil keine unmittelbaren Auswirkungen, da wir nicht auf Zuweisungen des Bundes warten, die wir morgen brauchen, um Dinge auf den Weg zu bringen. Was uns aber sehr besorgt, ist, dass bei vielen Projekten im Klima- und Transformationsfonds des Bundes die Finanzierung ungeklärt ist. Und da geht es um wirklich wichtige Themen für den Industriestandort Baden-Württemberg. Deswegen müssen wir schnell Klarheit bekommen.
Können Sie das konkreter machen?
Das sind viele Projekte, die wir als Land mitfinanzieren, vor allem im Bereich Wasserstoff. Da liegt der Landesanteil bei 30 Prozent. Es ist ausgeschlossen, dass wir uns die anderen 70 Prozent, das sind meist mittlere dreistellige Millionenbeträge, irgendwo herzaubern, wenn der Bund nichts mehr zahlt. Das sind aber keine Prestige- oder Wunschvorhaben, sondern wirklich zukunftsweisende Projekte für unseren Wirtschaftsstandort.
Zum Beispiel?
Da geht es etwa um die Industrialisierung von Brennstoffzellen wie bei Bosch Power Units. Das Projekt „Pegasus“ von Daimler Trucks dreht sich um die Entwicklung emissionsfreier Schwerlastbrennstoffzellen, die dann für Lkw genutzt werden können. Dann gibt es noch Projekte, die sich mit der notwendigen Tankinfrastruktur für Wasserstoff beschäftigen. Das alles ist Zukunft im Brennglas.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Ampel-Regierung zwei Hauptpunkte angekreidet: erstens die Umwidmung von Corona-Notkrediten für den Klima- und Transformationsfonds, zweitens die Verletzung der Prinzipien von Jährlichkeit und Jährigkeit. In Baden-Württemberg hat der Landtag in der Pandemie ebenfalls Notkredite bewilligt. Sie sagen, es gab keine Umwidmungen, möglicherweise aber ein Problem mit der Jährlichkeit.
Um es ganz klar zu sagen. Wir haben eine andere Situation als der Bund. Wir müssen keine Haushaltslöcher stopfen, uns brechen keine Sondervermögen weg, wir müssen auch keinen Fonds rückabwickeln. Wir haben während der Pandemie auch Corona-Kredite aufgenommen, aber wir haben sie nicht für andere Zwecke genutzt.
Aber?
Wir haben im Jahr 2020 und dann im Jahr 2021 die Notlage erklärt, weil wir in der Pandemie waren. Wir haben im Jahr 2022 die Schuldenbremse wieder eingehalten, aber im Kampf gegen die Pandemie und ihre Folgen allerdings auch noch Corona-Notkredite genutzt, die Folgen der Pandemie waren ja noch zu spüren, etwa an den Schulen. Und jetzt stellt sich im Lichte des Urteils die Frage, ob wir 2022 dafür ebenfalls die Notlage der Pandemie hätten erklären müssen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätten wir das wahrscheinlich machen müssen. Das wollen wir jetzt klären.
Wie machen Sie das?
Wir werden ein Gutachten bei dem renommierten Finanz- und Steuerrechtler Hanno Kube von der Universität Heidelberg in Auftrag geben, der auch die Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht begleitet hat. Wir wollen eine externe, auch kritische juristische Begleitung sicherstellen, damit wir in Zukunft Rechtssicherheit haben.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes ist Ihnen nicht klar genug?
Es stellen sich für uns konkret drei Fragen, nämlich erstens: Wie sollen wir mit solchen Notkrediten umgehen, wenn sie nicht auf ein anderes Jahr übertragen werden können? Müssen wir dann jedes Mal die Notsituation neu erklären, um sie zu nutzen? Zweitens: Was ist eigentlich mit anderen Kreditermächtigungen, die keine Notkredite sind? Dazu hat das Gericht nichts konkret gesagt. Und drittens: Wie können wir sicherstellen, dass unsere Haushaltsführung auch in Zukunft rechtssicher ist?
Hat das Urteil Sie überrascht?
Ich habe den Eindruck, dass selbst diejenigen, die jetzt vors Verfassungsgericht gezogen sind, ein Stück weit überrascht waren, wie streng es ausgefallen ist, denn es wirkt sich auf die bisherige Haushaltspraxis von Bund und Ländern aus. Wir haben während der Pandemie nach bestem Wissen und Gewissen agiert. Wir fühlen uns da nicht ertappt. Der Rechnungshof hatte an dieser Haushaltspraxis nichts auszusetzen gehabt. Der Landtag, der Finanzausschuss haben dem auch so zugestimmt. Transparent und nachvollziehbar und immer für den Zweck Corona, so sind wir mit den Notkrediten verfahren.
Angesichts der Turbulenzen im Bund hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) um die Zukunft der Wärmeplanung oder des Netzausbaus gesorgt. Das Handwerk beklagt gestoppte Antragsbewilligungen für den Mittelstand, andere fürchten, dass die Haushaltssperre Maßnahmen im Bildungsbereich oder bei der Flüchtlingsversorgung gefährdet.
Man darf jetzt auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sind in keiner ökonomischen Haushaltskrise, sondern in einer juristischen. Da ist auch kein Urteil gefällt worden, was die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern gänzlich infrage stellt. Rechtsverbindliche Vorhaben werden nicht mehr zurückgeholt. Obendrein würden ja nicht alle Gelder des Bundes an die Länder allein im nächsten Haushalt abfließen. Ich habe ein paar wichtige Projekte angesprochen, bei denen die Finanzierung jetzt natürlich sichergestellt werden muss. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung weiß, was auf dem Spiel steht. Wir haben eigentlich kaum Alternativen.
Was muss sich jetzt tun?
Es geht natürlich um Prioritäten, also auch ums Sparen. Aber solche Summen werden Sie nicht mal hier und da rausquetschen können, sonst rutschen wir in eine wirtschaftliche und soziale Krise.
Also?
Kurzfristig geht es um den Bundeshaushalt im nächsten Jahr, bis dahin werden die Regeln der Schuldenbremse so bleiben. Das heißt übrigens auch: Der nächste Doppelhaushalt in Baden-Württemberg, der im nächsten Jahr aufgestellt wird, wird unter den aktuellen Regeln der Schuldenbremse aufgestellt, die nach dem Karlsruher Urteil sehr streng ausgelegt werden. Das werde ich von allen Beteiligten einfordern.
Und im Bund?
Wir brauchen 2024 ja nicht die ganzen 60 Milliarden, der Bundesfinanzminister spricht von einem Handlungsbedarf von 17 Milliarden fürs nächste Jahr. Die Ampel-Koalition muss an einer ausgewogenen Lösung durch Umschichtungen und Einsparungen arbeiten. Zusätzlich steht eine Option im Raum, nämlich die Erklärung der Notlage auch für das nächste Jahr. Ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, muss aber vorab geklärt werden. Die Erklärung müsste schon sehr fundiert begründet werden, damit der Bundeshaushalt nach einer möglichen Klage nicht erneut scheitert.
Was sehen Sie sonst für Optionen?
Die Alternative wäre, analog zur Bundeswehr ein Sondervermögen für Transformation und Wachstum in der Verfassung abzusichern. Da wären dann auch die Opposition und ihre staatspolitische Verantwortung gefragt. Ich bin grundsätzlich kein Anhänger von Sondervermögen, da strukturelle Ausgaben aus meiner Sicht in Kernhaushalte gehören. Allerdings ist jetzt auch nicht der Moment, wo man ordnungspolitische Prinzipien über alles erhebt, während viele Länder ihre Wirtschaft massiv unterstützen. Bis Ende des Jahres brauchen wir da endlich Klarheit. Unternehmen warten ja darauf, mit den Projekten loszulegen. Wenn sie statt bei uns ihre Wasserstoff- oder Halbleiterprojekte in die USA verlagern, schaden wir uns wirtschaftlich selbst.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vergangene Woche eine Rede gehalten, die viele Beobachter ideenlos fanden. Waren Sie auch enttäuscht?
Zunächst einmal steht es einer Regierung und ihrer Spitze immer gut zu Gesicht, Fehler einzuräumen. Ich hätte mir ein Eingeständnis gewünscht, dass die riskante finanzpolitische Strategie der Bundesregierung an dieser Stelle gescheitert ist. Ich finde, das gehört zu einem modernen Führungsverständnis dazu. Nun arbeitet die Koalition an einer Lösung, da kann man vom Kanzler kaum erwarten, dass er fertige Ergebnisse präsentiert. Aber mich würde schon sehr interessieren, wie er zu grundlegenden Fragen der Finanzpolitik steht: Will er höhere Steuern wie seine Partei, was hält er von einer Reform der Schuldenbremse, wie soll die Finanzierung der Transformation gelingen? Hier braucht es Führung und keinen Moderator.
Sie haben eine Reformkommission zur Schuldenbremse vorgeschlagen, aus Politik und Wissenschaft. Welches Ziel sollte diese Reform haben?
Das Karlsruher Urteil hat den Finger in die Wunde gelegt. Zu glauben, man kann die Schuldenbremse einhalten, die Steuern nicht erhöhen, die Bürger und Unternehmen angesichts hoher Inflation entlasten und gleichzeitig Corona-Kredite tilgen, den hohen Investitionsbedarf für die Erneuerung des Wirtschaftsstandortes, für den Umbau der Energieversorgung und für die Ausrüstung der Bundeswehr hinbekommen - da hat man sich ein Stück weit in die Tasche gelogen. Deswegen lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob es kluge Reformideen für die Schuldenbremse gibt, damit aus unserer Investitionsschwäche keine Investitionskrise wird.
Sie wollen eine Investitionsregel in der Schuldenbremse verankern.
Zugegeben ist es nicht trivial, so eine Regel umzusetzen. Es muss sich um neue, um zusätzliche Investitionen handeln und es sollte ein enger Investitionsbegriff sein, sonst ist am Ende alles Investition. Da sind Politiker leider auch sehr kreativ. Deswegen brauchen wir eine seriöse Debatte mit Juristen und Ökonomen, auch darüber, ob es Anpassungsbedarf bezüglich der Nutzung von Notlagenkrediten gibt. So etwas dauert. Die richtig großen Herausforderungen im Bundeshaushalt drohen in der nächsten Wahlperiode. Wir dürfen aber auch nicht glauben, jetzt sei der Moment, alles mit Schulden zu lösen. Wir haben steigende Zinsen. Für die Modernisierung unseres Industriestandorts brauchen wir sehr viel mehr privates Kapital. Da müssen wir uns mindestens mit der gleichen Verve für einen entsprechenden Ordnungsrahmen engagieren wie bei der Diskussion über die Schuldenbremse. Das vermisse ich leider.
Noch eine Frage zum Landtag: Vergangene Woche wurde dort ein AfD-Gesetzentwurf zu einer Änderung der Landesverfassung beraten. Zur Vermeidung von Loyalitätskonflikt sollen Mitglieder der Landesregierung künftig nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen dürfen. Sie sind der einzige Minister mit doppelter Staatsangehörigkeit. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Wer näher bei Putin als bei seinem eigenen Bundespräsidenten ist, muss mich in Sachen Loyalität sicher nicht belehren. Für mein Land und seine Bürger, für meine Heimat, für die Werte unseres Grundgesetzes und die deutsche Erinnerungskultur würde ich mich zerreißen, wenn es sein muss. Ich war neulich in Brüssel und hatte ein sehr anregendes Gespräch mit David McAllister (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen, jetzt Europapolitiker, der die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass es da jemals Zweifel gab, ob er niedersächsische Interessen oder britische Interessen vertritt. Wer das also nur bei mir thematisiert, weil mein Vater aus der Türkei kommt, sagt vor allem etwas über sich selbst aus.Quelle:
Das Interview erschien am 04. Dezemer 2023 bei den Badischen Neuesten Nachriten.