Im Interview mit dem Handelsblatt erzählt Finanzminister Dr. Danyal Bayaz, was er von Christian Lindners Entlastungsplänen hält, wie sein Wechsel in die Landespolitik war und warum er kein Fan der Vermögenssteuer ist.
Herr Bayaz, als erste Maßnahme hat Christian Lindner eine schuldenfinanzierte Rücklage von 60 Milliarden Euro geschaffen, um damit in Zukunft Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz zu finanzieren. Wie zufrieden sind Sie mit dem liberalen Bundesfinanzminister?
SPD, FDP und Grüne wollen die Soziale Marktwirtschaft digital und ökologisch modernisieren. Dazu muss die Finanzpolitik ihren Teil beitragen. Ich vertraue darauf, dass Christian Lindner als Bundesfinanzminister die vereinbarten Vorhaben des Koalitionsvertrags ermöglicht. So hat er es auch zugesagt. Der Koalitionsvertrag bietet eine gute Mischung aus Solidität und dem Fokus auf Investitionen. Damit bin ich zufrieden.
Im Koalitionsvertrag wird ein halbes Dutzend Maßnahmen aufgelistet, wie sich trotz Schuldenbremse zusätzliche Mittel mobilisieren lassen. Was ist die Schuldenregel denn überhaupt noch wert, wenn man sie derart umgehen will?
Die Schuldenbremse ist eine wichtige Errungenschaft, und sie gilt weiterhin. Der Koalitionsvertrag nennt eine Reihe von Möglichkeiten, wie innerhalb der bestehenden Regeln Investitionen finanziert werden können. Das sind kleinere Maßnahmen, die aber in ihrer Kombination schon für einen ordentlichen Wumms sorgen können, um mal einen früheren Bundesfinanzminister zu zitieren. So können wir die Investitionen in Klimaschutz finanzieren, die uns Grünen besonders wichtig sind.
In der FDP gibt es gegen viele dieser Maßnahmen Vorbehalte. Glauben Sie wirklich, dass Lindner sie voll ausschöpfen wird?
Christian Lindner ist erst wenige Wochen im Amt. Ich habe schon einen Riesenrespekt vor meinem eigenen Amt, aber wenn ich das Organigramm meines Ministeriums neben das des Bundesfinanzministeriums lege, würde ich sagen: Ich führe einen guten baden-württembergischen Mittelständler, Lindner einen internationalen Großkonzern. Ich finde, man muss ihm und der neuen Regierung schon etwas Zeit zugestehen, sich zu sortieren und die Dinge systematisch anzugehen.
„Wir werden die Wirtschaftshilfen verlängern müssen“
Seit dem Start der neuen Bundesregierung dominiert wieder Corona das Geschehen. Wird die Ampel trotz Pandemie den versprochenen Aufbruch schaffen?
Es gibt das Dringliche und das Wichtige. Der Kampf gegen die Pandemie ist für die Bundesregierung die allererste Aufgabe. Wir werden sicherlich die Wirtschaftshilfen und Unterstützungen verlängern müssen, von Unternehmen über den öffentlichen Nahverkehr, Krankenhäuser und Kommunen bis zu den Impf- und Testangeboten. Das ist das Dringliche. Gleichzeitig haben wir das Wichtige, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist: die digitale und ökologische Erneuerung des Landes. Da müssen wir alle liefern, Bund und Länder gemeinsam.
Die schwarz-grüne Landesregierung in Baden-Württemberg wird also die Ampel unterstützen?
Der Bundesrat ist ein wichtiger Player, gerade auch in der Finanzpolitik. Und mittlerweile sitzen da vier grüne Finanzministerinnen und -minister, sieben schwarze und fünf rote. Da werden wir auch über Parteigrenzen hinweg den Bund daran erinnern, dass er zu seinen Zusagen steht. Oder dass Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag wie die Superabschreibungen und Verlustrückträge nicht einseitig zulasten der Länder und Kommunen gehen.
Sind Sie denn bereit, Ihren Beitrag bei der Finanzierung zu leisten, wenn es um die Superabschreibungen geht?
Die Superabschreibungen gezielt für Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz sind gute Instrumente, wenn sie richtig konzipiert sind. Das mobilisiert privates Kapital. Zu glauben, der Staat allein könne das alles lösen, wäre falsch. Davon würden auch die baden-württembergischen Unternehmen profitieren, die sehr innovativ sind. Von daher sind wir bereit, da auch unseren Beitrag zu leisten.
Lindner hat eine Entlastung der Bürger und des Mittelstands von 30 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode angekündigt. Liegt er da richtig?
Ja, die Richtung stimmt, aber das ist jetzt auch keine Erfindung des neuen Bundesfinanzministers. Die volle Absetzbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge geht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs zurück. Und die Senkung der EEG-Umlage soll auch den steigenden CO2-Preis kompensieren. Mir fiele es allerdings leichter, das zu unterstützen, wenn wir eine echte Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen sehen würden, gegenfinanziert durch eine moderate Mehrbelastung von Spitzenverdienern. Unsere Spielräume haben ja Grenzen. Leider konnte in den Koalitionsverhandlungen an dieser Stelle der Stillstand der vergangenen Jahre nicht überwunden werden. Aber da darf eine Regierung auch während der Legislatur klüger werden.
Im Koalitionsvertrag der Ampel findet sich zur Überraschung vieler auch die Ankündigung, dass Kommunen bei den Altschulden entlastet werden sollen. Davon würden vor allem Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland profitieren. Würde Sie trotzdem zustimmen?
Nein, das glaube ich nicht. Es wird sehr davon abhängen, wie das Modell im Detail aussieht. Als Bundesfinanzminister hatte Olaf Scholz ein Modell vorgeschlagen, bei dem 70 Millionen Euro nach Baden-Württemberg geflossen wären und nach Nordrhein-Westfalen elf Milliarden. So etwas werden wir nicht akzeptieren. Ein Modell, bei dem nur einige wenige profitieren und diejenigen hinten runterfallen, die seit Langem schon gut für ihre Kommunen sorgen, wird im Bundesrat auf heftigen Widerstand stoßen.
Woran denken Sie?
Nehmen Sie das Beispiel Vermögensteuer, von der ich noch nie Fan war. Sowohl SPD wie auch Grüne hatten sie im Wahlprogramm stehen. In den Koalitionsverhandlungen hat dieses Instrument aber nie wirklich eine Rolle gespielt. Vielleicht werden wir daraus klüger und sparen uns solche ideologischen Auseinandersetzungen in Zukunft einfach. Und konzentrieren uns stattdessen auf die realistischen Dinge, mit denen man wirklich gestalten kann. Ich würde empfehlen, die Energie lieber auf eine Reform der Erbschaftsteuer zu verwenden, um sie gerechter und einfacher zu machen.
Was spricht denn gegen die Vermögensteuer?
Es gibt das Problem der Substanzbesteuerung. Zugespitzt formuliert: Wenn ich das Vermögen jedes Jahr mit zwei Prozent besteuere, dann ist es ohne Wertzuwachs nach 50 Jahren weg. Zudem ist es eine sehr aufwendige Steuer: Wenn meine Finanzbeamten jährlich rausmüssen, um Vermögensgegenstände in privaten Haushalten und in den Betrieben zu erfassen und zu bewerten, ist das viel Aufwand, der vergleichsweise wenig Einnahmen bringt. Da ist eine gut ausgestaltete Erbschaftsteuer die deutlich bessere Alternative: ein niedriger Satz, wenig Ausnahmen und eine Stundungsregelung für Unternehmen. Aber in dieser Legislaturperiode wird das wohl nichts.
Der Koalitionsvertrag sieht steuerpolitisch Stillstand vor. SPD und Grüne auf der einen und die FDP auf der anderen Seite haben einander mit ihren Positionen blockiert. Als kleinster gemeinsamer Nenner macht man nun einfach gar nichts. Passt das zu einer selbst ernannten Fortschrittskoalition?
Einige Maßnahmen gibt es, etwa die Abschreibungen für Unternehmen. Aber die große Einkommensteuerreform steckt im Koalitionsvertrag leider nicht drin. Aus meiner Sicht wäre es höchste Zeit für eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. Aber das geht nur mit einer Gegenfinanzierung, einer moderaten Anhebung des Spitzensteuersatzes. Dazu war die FDP nicht bereit. Aber auch ein Bundesfinanzminister kann seine Haltung im Laufe der Legislaturperiode ja ändern. Ich würde ihn da auf jeden Fall nicht bremsen.
„Nun sitze ich selbst auf dem heißen Stuhl“
Sie sind vor einem guten halben Jahr Finanzminister in Baden-Württemberg geworden. Wie hat sich der Wechsel angefühlt?
Es hat schon gedauert, den Hebel gedanklich umzulegen: von Berlin in die Landespolitik, von der Parlamentsbank in die Exekutive, aus der Opposition in die Regierung. Als Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss durfte ich noch dem Bundesfinanzminister auf die Finger schauen, nun sitze ich hier in Stuttgart selbst auf dem heißen Stuhl. Von daher kann ich ganz gut nachvollziehen, wie sich Robert Habeck oder Christian Lindner gerade fühlen.
Wie denn?
Es ist spannend und auch erfüllend, politisch gestalten zu dürfen. Aber für die Entscheidungen muss man dann auch den Kopf hinhalten. Als ich nach meiner Vereidigung im Landtag in mein neues Amtszimmer im Ministerium kam, habe ich auf dem Schreibtisch schon einen Berg Akten vorgefunden. Ich habe die erste aufgeschlagen, da ging es gleich um millionenschwere Coronahilfen. Da setzt man dann mit grüner Tinte sein Kürzel drunter und weiß: Okay, ab jetzt zählt’s.
Quelle:
Das Interview erschien am 04. Januar 2022 im Handelsblatt .