WirtschaftsWoche: Herr Bayaz, Sie können deutlich üppiger planen als gedacht, denn aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen fließen 100 Milliarden Euro an die Länder. Was steht auf Ihrer Einkaufsliste fürs Ländle ganz oben?
Danyal Bayaz: Einkaufen? Wir müssen erstmal sanieren. Brücken, aber auch unsere 8000 landeseigenen Gebäude, bei denen wir zum Teil einen erheblichen Sanierungsbedarf haben. Dazu kommen die vier Uniklinken. Gesundheit, Biotech und Pharma spielt dabei eine Rolle – das ist inzwischen unser wichtigster Wirtschaftszweig in Baden-Württemberg, noch vor der Automobilindustrie. Das wird sicherlich ein Schwerpunkt.
Klingt gut – aber was machen Sie, wenn der Ziegenmelker wieder angeflattert kommt?
Ein schöner Vogel, der bekannt ist für seinen froschähnlichen Gesang...
…und der als gefährdet gilt. In Tübingen drohte er den Ausbau des Uniklinikums zu verhindern, weil sein Tschirpen einmal auf dem Dach gehört wurde. Tübingen wurde deshalb zum sogenannten Ziegenmelker-Erwartungsland. Was bringen die Milliarden, wenn sie nicht dorthin fließen können, wo sie gebraucht werden?
Artenschutz ist nicht mein Kerngebiet, ich bin allerdings überzeugt: Es sollten Populationen geschützt werden, nicht jedes einzelne Tierchen. Deshalb gilt auch in diesem Fall: mit Augenmaß vorgehen.
Also lieber Jobs retten statt Ziegenmelker und Zauneidechsen?
Wer die Zauneidechse platt macht, hat noch keinen einzigen Job mehr geschaffen. Aber selbstverständlich müssen wir schneller und pragmatischer bei Genehmigungen und in der Umsetzung werden, damit das Sondervermögen tatsächlich wirksam wird – sonst wächst am Ende nur eins: der Schuldenberg.
Aber mit Verlaub, wir können diese ewige Leier von mehr Tempo und weniger Bürokratie nicht mehr hören. Machen Sie es deshalb bitte konkret. Was muss jetzt passieren, damit schnellere Planungen und Genehmigungen endlich im Alltag der Bürger und Unternehmer ankommen?
Fangen wir doch bei einer der größten sozialen Fragen an.
Und zwar?
Beim dringend notwendigen Schub gegen den Wohnraummangel. Wenn eine Akte für eine Baugenehmigung drei Monate unangetastet auf dem Schreibtisch liegt, ist sie eben genehmigt.
Wäre schön, ist aber wenig realistisch – alleine angesichts der aufwändigen Nachweise zum Brandschutz.
Mit Brandschutz können Sie in diesem Land jedes Projekt verzögern und verteuern. Der Normenkontrollrat in Baden-Württemberg hat ein Gutachten erarbeitet, das zeigt, wie bei gleichbleibend hohem Standard trotzdem Kosten und Zeit eingespart werden können.
Wir sind gespannt.
Auf einem 30 Meter langen Fluchtweg mussten etwa vier Schilder angebracht werden – nur ein Beispiel dafür, wie groß unser Drang zur Risikominimierung und Absicherung ist. Es gibt in Deutschland aber leider auch einen extremen Hang zu Einzelfallgerechtigkeit und Risikominimierung. Wer pauschale Lösungen fordert, muss deshalb auch bereit sein, sie für sich zu akzeptieren.
Fraglich ist, wozu Union und SPD bereit sind. Werden sie die neuen Milliarden tatsächlich in die Infrastruktur investieren – oder schaffen sie sich damit nur Freiräume, um neue E-Auto-Prämien, die Senkung der Gastro-Steuer und die Stärkung des Müttergenesungswerks zu finanzieren?
Da ist bislang keine Linie erkennbar. Die SPD bringt das Programm der Jusos ein, die Union die Agenda des CDU-Wirtschaftsrats und dann will man sich in der Mitte treffen – das heißt dann im besten Fall: Stagnation. Ich fürchte aber eher: Rezession. So können wir einfach nicht weitermachen.
Überrascht Sie das bisherige Ergebnis?
Nein, wer 256 Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker in 16 Arbeitsgruppen aufschreiben lässt, was sie schon immer wollten und angesichts der Milliardenkredite jetzt auch für finanzierbar halten, kann mit keinem anderen Ergebnis rechnen. Aber vielleicht bin ich im Gegensatz zu Friedrich Merz auch einfach nur old fashioned.
Was meinen Sie damit?
Für mich kommt das Geld immer am Ende. Es muss doch erstmal um Schwerpunkte und ums Priorisieren gehen. Um die Frage, was wollen – und vor allem – was können wir uns wirklich leisten? Das ist doch die Kernaufgabe einer Regierung. Ich sehe bisher aber viel Kleinteiliges, aber nicht die langen, strategischen Linien, die so dringend notwendig wären.
Wird der Freifahrtschein für Schulden am Ende die Strukturreformen verhindern?
Genau das darf nicht passieren. Union und SPD müssen jetzt beweisen, dass sie die Milliarden nutzen, um die notwendigen, auch schmerzhaften Reformen anzugehen – und nicht, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Ich gönne jedem sein günstigeres Schnitzel, auch Markus Söder seinen täglichen Fast-Food-Besuch, aber das ist nichts, was auf unsere Wettbewerbsfähigkeit einzahlt.
Aber Herr Bayaz, die Grünen sind doch selbst mitverantwortlich dafür, dass bei den Verfassungsänderungen am Ende die teuerste aller Lösungen herausgekommen ist. Warum haben Sie nicht härter verhandelt – ist finanzielle Nachhaltigkeit für die Grünen etwa nicht so wichtig wie grüne Nachhaltigkeit?
Moment, da muss ich deutlich widersprechen. Es ist doch gerade den Grünen zu verdanken, dass in der Verfassung „zusätzliche“ Investitionen festgeschrieben wurden – sonst wäre das Schuldenpaket von Union und SPD der ordnungspolitische Sündenfall in Billionenhöhe geworden.
Was „zusätzlich“ ist, dürfte am Ende Auslegungssache sein.
Ich bin nicht naiv, Haushaltspolitik bietet immer Ansätze für Kreativität. Aber diese Regierung hat sich verpflichtet, die Zusätzlichkeit ernst zu nehmen. Sie muss die Milliarden so investieren, dass die Infrastruktur zukunftsfähig wird – nur dann wird der Standort nachhaltig profitieren, das sollte übrigens auch für uns Länder gelten. Aber bei einem Punkt haben sie recht: beim Verteidigungsbudget hätten die Ambitionen größer sein müssen.
Alle Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, können künftig über Kredite finanziert werden. Hätten nicht zumindest das Zwei-Prozent-Ziel der Nato gesetzt sein müssen?
Sicherheit und Verteidigung gehören zu den Kernaufgaben des Staates. Sie sollten entsprechend im Haushalt abgebildet sein. Aber ich bin auch Realist. Wir müssen die Bundeswehr deutlich besser und schneller ausrüsten. Schon zwei Prozent würden rund 88 Milliarden Euro bedeuten – das schaffen wir gerade nur mithilfe des ersten Sondervermögens. Aber wir müssen ambitionierter werden, von einem Prozent könnten wir uns jedes Jahr um 0,1 Prozentpunkte steigern. Denn klar ist: Eine Zeitenwende dauerhaft auf Pump kann keine ehrlich und ernst gemeinte Zeitenwende sein.
Es ist noch offen, wie die neuen Milliarden-Kredite getilgt werden sollen. Sie haben kürzlich eine Übergewinnsteuer für Rüstungsunternehmen ins Spiel gebracht – aber das wirkt absurd: Die Firmen sollen schneller liefern und dafür auch investieren, zugleich wollen Sie ihnen die Spielräume dafür nehmen?
Es geht doch nicht darum, die Rüstungsunternehmen links zu unterstützen, um sie rechts wieder abzuschöpfen. Eine Übergewinnsteuer setzt ja bei Überrenditen an. Ich will, dass Unternehmen profitabel ist, aber wenn Gewinne exorbitant sind und deutlich über den bisherigen Margen liegen, lässt sich dort womöglich ansetzen. Wir sollten auch über andere Möglichkeiten nachdenken, beispielsweise darüber, einen Feiertag zu streichen.
Welchen Feiertag finden Sie verzichtbar?
Nach allen Regeln der Kunst bleiben nur Pfingstmontag oder der 3. Oktober übrig, den könnte man auf einen Sonntag legen – und bevor mich jetzt gleich ein Shitstorm ereilt, sage ich, Achtung, mir geht es vor allem um eins.
Und zwar?
Wir dürfen die ganze Last der Schulden nicht auf die künftige Generation abwälzen und ihr dazu noch eine neue Wehrpflicht obendrauf packen. Aber leider passiert genau das gerade – und das finde ich ziemlich feige. Da hat eine Boomer-Generation die vergangenen Jahre sehr gut gelebt, den Höhepunkt der Globalisierung mitgenommen, die Friedensdividende kassiert und gibt die Rechnung jetzt einseitig an die Zukunft. Das ist nicht in Ordnung.
Aber die Grünen haben sich in der Ampel auch nicht gerade hervorgetan mit Ideen, um Pflege, Rente und Gesundheit zukunftsfest aufzustellen – heute liegen die Sozialabgaben bei 42 Prozent. Wie kriegen wir die wieder runter auf 40 Prozent?
Wir haben eine steigende Lebenserwartung, wir sind zunehmend eine Dienstleistungsgesellschaft, eine Wissensökonomie. Das können wir nicht ignorieren. Deshalb könnte es sinnvoll sein, dass Leute, die studiert haben und erst mit Mitte oder Ende 20 überhaupt erst in den Arbeitsmarkt gegangen sind, länger arbeiten.
Allerdings sind es gerade die Menschen mit vergleichsweise bequemen Berufen, die die so genannte Rente mit 63 in Anspruch nehmen – und nicht der berühmte Dachdecker.
Ich mache niemandem einen Vorwurf, denn die Menschen nutzen ja nur die Möglichkeiten, die die Politik geschaffen hat. Aber wir können nicht einerseits über Arbeits- und Fachkräftemangel klagen und andererseits einen frühen Abschied aus dem Arbeitsmarkt möglichst attraktiv machen. Die sogenannte Rente mit 63 ist deshalb aus der Zeit gefallen. Ich würde sie abschaffen und zugleich die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung koppeln. So, wie es auch die Wirtschaftsweisen vorgeschlagen haben. Aber es ist nun mal so, dass die Politik dieses heiße Eisen bislang nicht anfassen möchte.
Die Grünen haben sich in der Regierung weder an eine echte Rentenreform herangewagt, noch an eine Steuerreform – dabei ist beides entscheidend für mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Ich nehme uns da nicht aus und ich hoffe, dass die neue Regierung das Thema private Altersvorsorge beherzt angeht, übrigens auch um mehr privates Kapital für die Transformation zu mobilisieren, es kann ja nicht alles der Staat machen. Was die Steuerpolitik angeht, sollten wir tatsächlich nicht weiter darauf hoffen, dass Karlsruhe uns die Entscheidungen abnimmt wie zuletzt beim Soli und zuvor bei den Entscheidungen zur Grund-, Erbschafts- und Vermögensteuer. Die Politik muss selbst den Anspruch haben, zu wissen, wo es lang geht.
Und, wo sollte es steuermäßig lang gehen?
Der Soli sollte nicht abgeschafft, aber verändert und neu begründet werden. Menschen mit hohen Einkommen sollten weiterhin ihren Beitrag leisten, etwa um Verteidigung zu finanzieren – aber für die Kapitalgesellschaften könnte man ihn streichen, um sie zu entlasten und bei Personengesellschaften investierte Gewinne steuerlich besser stellen.
Das wäre aber gerade einmal insgesamt sieben Milliarden Euro. Nur im Vergleich: der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck wollte im Fall Intel die Ansiedlung eines einzelnen Unternehmens mit zehn Milliarden Euro subventionieren. Warum sperren Sie sich so gegen wettbewerbsfähigere Steuersätze, von denen alle Unternehmen profitieren?
Entlastungen wirken aber strukturell, also jedes Jahr. Daher sollten gezielt Investitionen angereizt werden, auch das ist übrigens eine Idee von Robert Habeck. Wer in Deutschland investiert, bekommt einen Teil der Investition steuerlich gutgeschrieben. Ein guter Kompromiss von Finanzierbarkeit und Pragmatismus.
Aber eine einmalige Prämie von zehn Prozent bringt doch nichts, wenn die Betriebskosten dauerhaft hoch sind. Wäre die von der Union geforderte Absenkung der Unternehmenssteuern von 30 Prozent auf 25 Prozent nicht das stärkere und nachhaltigere Signal?
Womöglich, aber ich habe noch kein Finanzierungskonzept gesehen, das Bund und Länder tragen können. Deshalb muss ich auf die Euphoriebremse drücken. Eine solche Absenkung würde je nach Ausgestaltung jährlich etwa 20 Milliarden Euro kosten.
Genau so viel wie eine Investitionsprämie.
Wir erleben doch gerade, wie das alte Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland in seinem Fundament erschüttert wird. Umso gezielter müssen wir neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Biotech und Quantentechnologien fördern – auch durch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen wie auch für Forschung und Entwicklung. Ein besseres Signal für Investitionen in die Zukunft gibt es nicht.
Während die Autoindustrie Arbeitsplätze abbaut und Werke schließt, sucht die Rüstungsindustrie händeringend Mitarbeiter und Platz. Ist die Krise der einen die Chance der anderen?
Die Rüstungsindustrie ist als solche schon eine Chance. Aber wir dürfen hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Wir investieren in die Rüstung, um unsere Verteidigungsfähigkeit zu stärken, und nicht, um der Wirtschaft zu helfen. Der Staat ist Ankerkunde, deshalb ist der volkswirtschaftliche Multiplikatoreffekt auch begrenzt. Aber ohne Frage können wir Arbeitsplätze, die durch die Transformation in der Autoindustrie und im Maschinen – und Anlagenbau gerade abgebaut werden, in der Rüstungsbranche gut auffangen. Chancen sehe ich vor allem in technologischer Exzellenz bei Satelliten- und Drohnentechnik.
Nicht nur die Autoindustrie gerät durch Donald Trumps Zollpolitik jetzt noch weiter unter Druck. Wie gut sind wir dagegen gewappnet?
Die ökonomischen Folgen werden sehr stark sein. Es gibt Berechnungen, wonach uns Donald Trumps Zollpolitik 0,3 Prozent Wachstum kosten kann – also alles, was wir uns überhaupt erstmal mühsam erarbeiten müssen, ist mit einem Federstrich wieder weg. Das trifft uns ins Mark. Und Baden-Württemberg wird davon leider überproportional betroffen sein.
Das heißt konkret?
Da geht es nicht nur um Porsche und Mercedes, die nach Amerika exportieren. Jedes vierte Produkt, das aus der Bundesrepublik in die USA geht, kommt aus Baden-Württemberg. Das ist eine Zahl, die mir den Atem stocken lässt. Wir haben früher mal von unserer Exportstärke gesprochen – mittlerweile müssen wir von Exportabhängigkeit reden.
Deutschland wird allerdings Exportland bleiben. Was ist also die richtige Strategie, um resilienter zu werden?
Drei Dinge. Erstens müssen wir diversifizieren, deshalb ist es auch richtig, dass wir die Gesundheitswirtschaft so gestärkt haben. Zweitens bin ich überzeugter Freihandelsbefürworter. Südkorea, Japan, Mexiko, Kanada und Indien sind Ländern, mit denen wir die Globalisierung weiter gemeinsam gestalten sollten. Und drittens hoffe ich natürlich, dass man Trump die Zölle auch wieder ausreden kann – dafür kann übrigens auch Baden-Württemberg entscheidend sein.
Wie wollen Sie ausgerechnet aus dem Ländle heraus den Dealmaker Trump entwaffnen?
Wenn Trump Zölle auf unsere Medizintechnik und Pharmaprodukte verhängt, bekommt das der Patient in Kansas City direkt auf dem OP-Tisch zu spüren, der dann am Ende mehr bezahlen muss, gerade in dem privatisierten Gesundheitssystem der USA.
Europa könnte mit dem Abrüsten ja auch selbst anfangen. Mercedes-Chef Ola Källenius hat vorgeschlagen, die Zölle auf Auto-Importe aus den USA in die EU auf Null zu senken. Ist das nicht besser als ein Gleichgewicht des Schreckens aufbauen zu wollen?
Ich bin mir nicht sicher, ob das Trump sonderlich beeindrucken würde. Natürlich hoffe ich am Ende auf einen Deal, dazu braucht es aber einen glaubwürdigen Verhandlungshebel. Das Signal aus Europa darf nicht sein, dass Trump mit uns machen kann, was er will. Ich bin für eine selbstbewusste, vor allem für eine geschlossene Antwort aus Europa. Wenn wir anfangen, uns auseinander dividieren zu lassen und die ersten Länder eigene Deals mit Trump machen wollen, dann kann Europa einpacken. Dann sitzen wir nicht am Tisch, sondern stehen auf der Speisekarte.
Apropos Deals. Annalena Baerbock will zur UN nach New York wechseln, Robert Habeck auf eine Führungsposition in der Partei verzichten. Ein guter Zeitpunkt, um Ihren Wechsel nach Berlin vorzubereiten, wenn 2029 wieder gewählt wird?
Ich mache meine Aufgabe in Stuttgart sehr gerne und hoffe natürlich, dass die Grünen bei der Landtagswahl 2026 stärkste Kraft mit Cem Özdemir werden. Aber ich will die Politik auch über den baden-württembergischen Tellerrand hinaus beeinflussen. Das muss als starker Wirtschaftsstandort unser Anspruch sein. Wir erleben ja gerade, wie schnell sich die Welt innerhalb von ein paar Tagen drehen kann – die vier Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl wirken da wie eine Ewigkeit. Ich bin jedenfalls immer gut damit gefahren, die Dinge auf mich zukommen zu lassen und mir meine innere Unabhängigkeit zu bewahren. Das werde ich auch weiter tun.