Interview

„Wir haben eine Anspruchshaltung in diesem Staat kultiviert“

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Finanzminister Danyal Bayaz

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht Finanzminister Danyal Bayaz unter anderem über die ­finanzpolitische ­Zeitenwende und einen höheren CO2-Preis.

Herr Bayaz, nach einem Urteil des Verfassungsgerichts fehlen der ­Bundesregierung mindestens 60 Milliarden Euro. Wie kommt die Politik aus dem Schlamassel wieder raus?
Die Bundesregierung hat sich an der Stelle verzockt. Sie hat gesagt, wir halten die Schuldenbremse ein, bilden aber Sonderfonds links und rechts. Diese Strategie ist gescheitert. Jetzt sind allerdings nicht irgendwelche Prestigeprojekte in Gefahr, sondern es geht um die Zukunft des Industriestandorts. Bei uns im Land gibt es zum Beispiel ein wichtiges Brennstoffzellenprojekt im Automobilbereich, dafür ist Bundesförderung zugesagt.

Das könnten Sie doch auch ohne Subventionen tun?
In einer perfekten Marktwirtschaft wäre das wohl so. Aber machen wir uns nichts vor: Die Welt hat sich dramatisch verändert, China und die USA subventionieren Schlüsselindustrien massiv. In so einer Situation ausschließlich auf ordnungspolitische Kalendersprüche zu ­setzen, halte ich für naiv.

Also weg mit der Schuldenbremse?
Es bringt uns nichts, wenn jeder aus dem Urteil das herausliest, was er schon immer gefordert hat. Die einen eine noch härtere Schuldenbremse, die anderen wollen sie ganz abschaffen. Ich halte die Schuldenbremse für eine wichtige Errungenschaft, aber sie braucht eine Reform. Sie steht uns ein Stück weit im Weg, wenn es um öffentliche Investitionen in den Kapitalstock des Landes geht. Wer aber glaubt, dass neue Schulden bei steigenden Zinsen die alleinige Antwort sind, macht es sich zu einfach. Mindestens genauso wichtig sind drei weitere Dinge: Die Politik muss ihre Prioritäten klären, wir haben immer noch zu viel Bürokratie, was den Mittelabfluss lähmt, und wir müssen viel mehr privates Kapital mobilisieren.

Wenn man Investitionen von der Schuldenbremse ausnimmt, dann bleibt mehr Spielraum für den Rest, die Begehrlichkeiten werden wachsen – etwa bei den Sozialausgaben.
Investitionen konkurrieren in einem Haushalt mit kurzfristigen Ausgaben, das ist nun mal so. Das meine ich mit Prioritäten klären. Wir müssen auch definieren, was überhaupt Investitionen sind. Bei Schulgebäuden oder iPads für Schüler ist das klar, aber sind auch Lehrergehälter Investitionen in die Bildung? Ich bin für einen engen Investitionsbegriff.

Könnte man im Gegenzug die ­Schuldenbremse für Konsumaus­gaben strenger machen?
Solche Fragen sollten in einer Reformkommission aus Politik und Wissenschaft erörtert werden. Für eine Änderung des Grundgesetzes braucht es Mehrheiten und gründliche Vorarbeit. Eine Reform der Schuldenbremse muss ökonomisch und juristisch sitzen.

Am Geld scheint es doch nicht zu ­hapern: Die Haushaltsmittel für ­Investitionen wurden zuletzt nicht ­abgerufen.
Das stimmt. Da hapert es an der Verwaltung, die mit der Planung nicht hinterherkommt. Dazu kommen Antragswesen in Papierform, Brandschutz, Bürgerini­tiativen. Außerdem mangelt es an Kapa­zitäten in einigen Betrieben, sodass ­Aufträge gar nicht abgearbeitet werden können.

Eben: Wenn Sie bei Arbeitskräftemangel zusätzliche Staatsaufträge vergeben, steigt nur die Inflation.
Das kommt darauf an. Mehr Sorgen machen mir die Zinsen. Viele Projekte werden storniert, weil sie sich bei den jetzigen Finanzierungskosten nicht mehr rechnen. Die Bauwirtschaft steht vor einer veritablen Krise, da haben staatliche Aufträge eine stabilisierende Wirkung.

Die Investitionen kommen erst zurück, wenn die Zinsen wieder sinken?
Die Zinspolitik ist ja gewollt und nimmt eine sinkende wirtschaftliche Aktivität bewusst in Kauf. Gleichzeitig wäre es töricht, wichtige Zukunftsinvestitionen deswegen aufzuschieben, weil es teurer wird. Aber es stimmt: Die hohe Inflation in den USA, die durch staatliche Ausgabenprogramme maßgeblich befördert wurde, sollte uns eine Warnung sein. Und die Klimakrise ist eine langfristige, strukturelle Krise – und deshalb kein Grund, die Schuldenbremse per Notlage auszusetzen. Daueraufgaben müssen aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Da ist das Urteil klar.

Glauben Sie, dass die Unionsparteien eine Modifikation der Schuldenbremse mitmachen würden?
Es ist nicht in erster Linie an der CDU, die Probleme dieser Bundesregierung zu lösen. Das muss die Regierung schon alleine hinbekommen. Aber die Union will ja auch irgendwann wieder regieren. Da sollte doch einer staatstragenden Partei kein Zacken aus der Krone fallen, wenn wir die Schuldenbremse im Lichte des Urteils und der andauernden Investitionsschwäche evaluieren.

Wenn man einen Freifahrtschein für Investitionen macht, wie verhindert man dann Nonsens-Projekte wie Stuttgart 21, die Verkleinerung eines Bahnhofs für zehn Milliarden Euro?
Da müssen wir schon auf Politik und Demokratie vertrauen. Wir können nicht durch Schuldenregeln garantieren, dass die öffentliche Hand niemals Unfug finanziert. Übrigens: Für Stuttgart 21 hat Baden-Württemberg ein Sondervermögen gebildet, aber nicht mit Krediten, sondern wir haben Geld zurückgelegt.

Damit profitieren Sie sogar von steigenden Zinsen?
Uns trifft der Zinsanstieg auch bei den Krediten weniger als den Bund. Im Bund sind die steigenden Zinsen sofort im Haushalt aufgetaucht, weil er verpasst hat, die Niedrigzinsen einzuloggen. Bei uns kommt das erst allmählich, weil wir uns viel langfristiger finanziert haben.

Sie haben es besser gemacht als der frühere Finanzminister Olaf Scholz?
Ich würde sagen, die Haushälter im Ländle waren weitsichtiger als die Schuldenagentur im Bund. Wir haben uns die niedrigen Zinsen längerfristig gesichert.

Sie sprechen von den Prioritäten. Wo könnte man sparen?
Das Wachstumschancengesetz . . .

. . . mit Steuererleichterungen für Unternehmen . . .
. . . werden wir in den Vermittlungsausschuss schicken. Es ist insbesondere für unsere Kommunen ein sehr teures Gesetz, das muss in die Verhandlungsmasse zur Haushaltskonsolidierung hinein. Investitionsprämien und Forschungsförderung begrüße ich sehr, aber nicht jede Maßnahme im Gesetz ist zielgenau. Auch soziale Projekte wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente sollten nicht in Stein gemeißelt sein. Wir müssen uns ­fragen: Passen die noch in die Zeit?

Auch zu Rentenansprüchen hat das Verfassungsgericht schon Vorgaben gemacht, ebenso zu Bürgergeld, Asylbewerbern oder Klimaschutz. Bleibt der Politik da noch Spielraum?
Den Richtern kann man keinen Vorwurf machen. Sie haben das Regelwerk der Schuldenbremse nicht erfunden, sondern nur ausgelegt. Die Regierung muss jetzt einen neuen Vorschlag ausarbeiten, der ausgewogen ist. Für dieses Jahr wird es darauf hinauslaufen, wegen der Energiekrise noch mal eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu erklären. Dann ist die Frage, was im nächsten Jahr geschieht. Den Klimaschutz jedenfalls könnte man vorantreiben, indem man den CO₂-Preis schneller erhöht und zum zentralen In­strument der ökologischen Modernisierung macht und sich an klimaschädliche Subventionen herantraut.

In Berlin will das aus Angst vor Populisten niemand. Außerdem sieht es so aus, dass der CO₂-Preis nicht als Klimageld an die Bürger zurückfließt. Das schwächt die Akzeptanz weiter.
Ein Klimageld muss es dann auf jeden Fall geben. Bislang scheitert das ja vor allem daran, dass es der Staat technisch gar nicht auszahlen kann. So ist es letztes Jahr überhaupt erst zu solch ökonomischen Sündenfällen wie dem Tankrabatt gekommen.

Die Gaspreisbremse braucht auch nicht jeder. Soll man sie nach dem Karlsruher Urteil rückgängig machen?
Da hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm zusammen mit Gewerkschaften und Industrie einen guten Mechanismus entwickelt. Aber es ist schon so: Wir haben vereinfacht gesagt viel Geld auf alle Probleme geschüttet und eine Anspruchshaltung in diesem Staat kultiviert. Wir haben Bürgern und Unternehmen den Eindruck vermittelt: Wenn eine Krise kommt, dann muss der Staat alles kompensieren. Das ist ein Versprechen, das Politik nicht halten kann!

Halten Sie es für möglich, dass die Bundesregierung am Streit über die Schuldenbremse zerbricht?
Diese Regierung ist zum Erfolg verdammt. Seit der großen Finanzkrise kannten die Steuereinnahmen nur eine Richtung, nämlich nach oben. Das hat politische Konflikte überdeckt. Jetzt ist die finanzpolitische Zeitenwende da. Krisen- und Handlungsfähigkeit wieder zu verinnerlichen, das ist der Auftrag dieser Regierung. Wenn man allerdings die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie nicht verlängert und ein Koalitionspartner schon am nächsten Tag die Verantwortung auf andere schiebt, dann wird es diese Regierung weiterhin schwer haben. Die Ampel muss verstehen: Es geht nicht um sie, es geht um das Land.

Auf Instagram sieht man Sie gelegentlich mit Ihrer Frau, der bayerischen Grünen-Fraktionschefin ­Katharina Schulze, und Ihrem zweijährigen Sohn. Wer kümmert sich um ihn, wenn Sie arbeiten?
Uns ist wichtig, dass wir den Kleinen gleichberechtigt erziehen. Meine Frau macht eindeutig mehr als ich, schon aufgrund ihrer physischen Präsenz in München. Andererseits habe ich ihr bestmöglich den Rücken im bayerischen Landtagswahlkampf freigehalten. Dazu haben wir zwei Omas, die anpacken. Man muss sich auch selbst disziplinieren und nicht jeden Termin zusagen, gerade in der Politik, die oft ein Abend- und Wochenendgeschäft ist.

Vor Kurzem haben Sie Ihre Teil­nahme am Landespresseball abgesagt, weil Ihr Sohn krank war.
Da geht die Welt nicht unter. Ich bin auch nur ein Zahnrad in der großen ­Maschine dieses Ministeriums, ich habe eine Staatssekretärin und ein tolles Team. Und ich habe einen Minister­präsidenten, der großes Verständnis hat, dass ich auch Familienvater bin. Aber zur Wahrheit gehört auch: Berliner ­Tempo ist das bei uns nicht ganz. Wenn man für eine ganze Bundesrepublik ­zuständig ist und international präsent sein muss, hat das noch mal eine andere Dimension.

Quelle:

Das Interview erschien am 25. November 2023 bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.