Interview

„Wir müssen wegkommen vom Gießkannen-Prinzip“

Finanzminister Danyal Bayaz im Gespräch / Foto: Marijan Murat/dpa

Im Interview mit dem Mannheimer Morgen spricht Finanzminister Danyal Bayaz unter anderem über das dritte Entlastungspaket des Bundes und erläutert, ob ein eigenes Paket für Baden-Württemberg sinnvoll ist.

Herr Bayaz, Sie haben während Ihrer USA-Reise mit einem Rap-Auftritt für einen Kasten Bier Aufsehen erregt. Glauben Sie, dass Sie damit zum Beispiel bei den nicht für ihren Humor bekannten Schwaben punkten können?
Da unterschätzen Sie mal den schwäbischen Humor nicht. Das war ja auch keine streng offizielle Veranstaltung, sondern ein eher lockerer Abend im Goethe-Institut in Los Angeles. Max Herre ist da auch aufgetreten. Ich bin ein großer Hip-Hop-Fan. Und mein Geburtsort Heidelberg ist ja die Wiege des deutschen Rap. Es hat also irgendwie gepasst. Aber klar, mit Anzug in meinem Büro im Finanzministerium käme mir das nicht in den Sinn. Aber ein bisschen Spontaneität tut auch uns Politikern manchmal gut.

Ich frage das auch deshalb, weil Sie als Nachfolger des eher volkstümlichen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gehandelt werden. Müssen Sie da nicht auf Ihre Seriosität achten?
Ich kümmere mich den ganzen Tag um ernste, oft schwierige Themen. Dafür stehe ich jeden Morgen auf, das ist der Kern meiner Arbeit. Wenn ich allerdings alles der Frage unterordnen müsste, was kommt denn gut an, wäre ich nicht der Richtige für diese Aufgabe. Ich wundere mich auch darüber, welche Reaktionen meine spontane Einlage ausgelöst hat. Denn eigentlich ging es bei der Reise ja um wichtige Themen wie Künstliche Intelligenz. Aber das muss man halt mit einem Augenzwinkern hinnehmen.

Sie haben 2021 ein Online-Portal für Anzeigen gegen Steuerhinterziehung eingerichtet. Da gab es viel Kritik, auch mit rassistischem Unterton. Hätten Sie sich einen solchen Hass vorstellen können?
Nein, damit hätte ich nicht gerechnet. Nicht nur bei der Debatte über das Portal gab es menschenverachtende Äußerungen, das war auch anlässlich der Geburt meines Sohnes so. Ich bringe das inzwischen regelmäßig zur Anzeige. Die Menschen müssen lernen, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist. Ich will aber klar trennen: Für Hass und Hetze kann es kein Verständnis geben, aber natürlich kann man über den Nutzen des Portals unterschiedlicher Meinung sein. Kritik ist nicht nur legitim, sondern das Salz in der Demokratie. Ich höre aber auch, dass es Bundesländer gibt, die wissen wollen, wie es denn läuft. Nüchtern betrachtet ist es schlichtweg ein weiterer Weg neben bestehenden Möglichkeiten, mögliche Steuervergehen anzuzeigen. Nach einem Jahr wurden insgesamt gut 80 Verfahren eingeleitet, aufgrund von Hinweisen über das Portal.

Bund und Länder schnüren jetzt das dritte Entlastungspaket. Die SPD-Opposition in Stuttgart fordert, dass es für Baden-Württemberg ein eigenes Paket geben soll. Warum lehnen Sie das ab?
Wir haben ja auch schon die ersten zwei Entlastungspakete mitfinanziert. Beim aktuellen ist das Land mit gut drei Milliarden Euro dabei, die Kommunen zahlen 1,8 Milliarden. Das sind hohe Summen, die Haushaltslage in Baden-Württemberg ist ja sehr angespannt, wir müssen uns jeden Millionen-Betrag aus den Rippen schneiden. Wir müssen auch die Steuerschätzung in zwei Wochen abwarten. Die Steuereinnahmen entwickeln sich zwar noch gut. Aber die Dynamik lässt nach. Insofern bin ich derzeit zurückhaltend, was ein eigenes Entlastungspaket im Land angeht.

Wie stehen Sie denn zum neuen Entlastungspaket?
Zunächst einmal: Die Länder mussten aus der Zeitung erfahren, dass die Bundesregierung das plant. Das geht gar nicht, das ist kein fairer Umgang miteinander. Vor allem müssen wir aber aufpassen, dass die Mittel auch sinnvoll eingesetzt werden.

Daran haben Sie Zweifel?
Ja, wir müssen wegkommen vom Gießkannen-Prinzip. Wir brauchen zielgenaue Entlastungen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen. Die Gießkanne kann durchaus auch ihren Nutzen haben. Der Gaspreisdeckel ist vernünftig, weil eben 20 Millionen Haushalte, die unter den hohen Kosten leiden, dadurch Hilfe erhalten. Das ist zielgenauer als eine Energiepauschale für alle in Höhe von 300 Euro für jeden. Aber auf diese Idee hätte die Bundesregierung schon früher kommen können. Ich habe ja zusammen mit der Vorsitzenden der Gaskommission …

… der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm …
… schon im Sommer einen Beitrag in der „FAZ“ veröffentlicht, der diese Richtung einschlug. Wir müssen einfach verinnerlichen, dass wir jetzt ein bis zwei schwere Jahre vor uns haben und nicht nur ein paar Wochen, die man mit einem Tankrabatt überbrücken kann. Also bitte keine Schnappatmung, wir brauchen einen langen Atem. Denken Sie doch nur an die Pandemie: Da gab es unterschiedliche Bundes- und Landesprogramme, manche waren sogar doppelt oder haben sich widersprochen. Diesen Fehler sollten wir nicht noch mal wiederholen, sondern einer gemeinsamen Linie folgen. Deshalb wollen wir neben der Steuerschätzung die nächste Ministerpräsidentenkonferenz abwarten. Sollte es dann noch blinde Flecken geben, wo das Land nachsteuern muss, schließe ich Maßnahmen im Land nicht aus.

Müsste sich die Politik nicht auch ehrlicher machen und den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken? Langsam geht dem Staat doch das Geld aus.
Unsere Haushaltsprobleme sind ja deshalb so groß, weil wir drei Ziele gleichzeitig verfolgen müssen: Wir haben erstens einen massiven Investitionsbedarf, ich nenne mal die Stichworte Digitalisierung, Klimaschutz, Infrastruktur, Innovationen. Wir haben zweitens einen massiven Entlastungsbedarf für die Menschen und drittens auch einen massiven Konsolidierungsbedarf. In der Pandemie hat der Staat Milliarden zur Verfügung gestellt, um Corona und seine Folgen zu bewältigen. Es war da auch richtig, dass die Schuldenbremse ausgesetzt wurde. Denn in der Krise darf man nicht sparen, man muss Geld in die Hand nehmen und gegen die Krise ankämpfen.

Aber?
Sie haben natürlich in einem Punkt recht. Diese Schulden müssen ja getilgt werden. Ich halte es aber für falsch, wenn das alles in Sondervermögen gesteckt wird, wie bei den Ausgaben für die Bundeswehr oder den Gaspreisdeckel. Das sind zusammen 300 Milliarden Euro.

Also fast ein kompletter Bundeshaushalt in den früheren „normalen“ Zeiten?
Genau. Es bringt nichts, wenn der Bund die Schuldenbremse umgeht und die Ausgaben in Schattenhaushalten versteckt. Deswegen gibt es zu diesem Vorgehen ja auch kritische juristische Stimmen.

Ein anderes Thema. Können Sie mit dem Machtwort des Bundeskanzlers im Streit um die Atomkraftwerke leben? Immerhin hatten die Grünen ja erst am Wochenende einen Parteitag, auf dem klipp und klar beschlossen wurde: Es dürfen nur zwei und nicht drei Atomkraftwerke bis April laufen?
Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte vorgesehen, dass die AKWs bis ins Frühjahr in Betrieb sein sollen. Diese Linie hat der Kanzler nun bestätigt. Es gibt ja keinen Betrieb bis 2024. Ich finde diese Lösung gut und der Situation angemessen. Ich hoffe, dass nun endlich etwas Ruhe einkehrt, was das Thema betrifft. Denn die energiepolitische Bedeutung dieser Laufzeitverlängerung steht in keinem Verhältnis zur Debatte darüber. Laufzeitverlängerungen können einen Beitrag zur Netzstabilität leisten und etwas preisdämpfend wirken, die Energiekrise lösen sie aber allein nicht. Den Eindruck konnte man ja bekommen die vergangenen Wochen.

Was sagt es über die Autorität des Kanzlers aus, wenn Olaf Scholz sich nach zehn Monaten im Amt auf seine Richtlinienkompetenz berufen muss, weil ihm die Partner auf der Nase herumtanzen?
Robert Habeck hat selbst gesagt, dass der Atom-Streit der Ampel kein Glanzstück war. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Freut sich denn die EnBW, dass sie ihr Atomkraftwerk in Neckarwestheim länger laufen lassen darf?
Ich darf als Aufsichtsrat nicht aus vertraulichen Sitzungen berichten. Nur so viel: Ein Streckbetrieb ist mit vielen komplexen regulatorischen und physikalischen Problemen und Fragen verbunden. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht freut sich da niemand. Das wird nicht ganz trivial für die EnBW. Aber gut, dass jetzt politische Klarheit herrscht, die hat es für den Betreiber dringend gebraucht.

Quelle:

Das Interview erschien am 20. Oktober 2022 im Mannheimer Morgen.