Entlastungsvorschlag

„Das ist unser Deutschlandtarif"

Finanzminister Danyal Bayaz

Wie können die Deutschen entlastet werden? Indem der Gaspreis bezuschusst wird - aber nur bis zu einem bestimmten Verbrauch. Ein Vorschlag

Von Danyal Bayaz und Veronika Grimm

Die aktuelle Debatte über die Gasumlage verstellt den Blick darauf, dass uns die großen Herausforderungen der Energiekrise erst noch bevorstehen. Wenn die hohen Gas- und Energiepreise im Laufe der kommenden Monate in vollem Umfang bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen, werden diese mit zusätzlichen Kosten konfrontiert, die viele nicht stemmen können. Die deutlichen Preisanstiege bei Kraftstoffen, Heizöl und Strom fallen aktuell noch weniger drastisch aus als beim Gas. Denn für Gaskunden kann es zu mehr als einer Vervierfachung der Kosten kommen. Im Vergleich dazu wirkt die hitzige Diskussion über die Gasumlage von 2,4 Cent je Kilowattstunde (kWh) geradezu befremdlich, zumal die Idee grundsätzlich richtig ist.

Etwa 20 Millionen Haushalte heizen in Deutschland mit Gas. Kunden mit laufenden Verträgen zahlen zum Teil unter sieben Cent für die Kilowattstunde. Läuft der Vertrag aus, so können es über 30 Cent werden. Mieter, die Heizkosten über die Nebenkosten abrechnen, zahlen aktuell relativ niedrige Abschläge. Denn die orientieren sich aufgrund gesetzlicher Vorgaben am Vorjahr. Die Realität bilden sie deshalb noch nicht ab. Vermieter mit hohen Beschaffungskosten können dadurch Liquiditätsprobleme bekommen. Und den Mietern drohen bei der nächsten Heizkostenabrechnung immense Nachzahlungen.

Einsparanreize für Gas müssen erhöht werden

Handlungsdruck besteht auch deshalb, weil Verbraucher aufgrund der niedrigen Kosten bestehender Altverträge oder niedriger Abschlagszahlungen bislang kaum Anreiz haben, Gas einzusparen, weil der Preisdruck bei ihnen - real oder gefühlt - noch nicht ankommt. Dadurch erhöht sich das Risiko einer Gasmangellage im Winter. Deshalb brauchen wir ein Instrument, das die Einsparanreize für Gas erhöht, Verbraucherinnen und Verbraucher aber auch nicht überfordert. Ein spezieller Deutschlandtarif für Gas könnte ein Teil der Lösung sein.

Der Tarif besteht aus zwei Komponenten. Für ein Grundkontingent von etwa 75 Prozent des Durchschnittsverbrauchs zahlt der Haushalt einen durch staatliche Förderung garantierten Preis in Höhe des mittelfristig erwartbaren Gaspreises, etwa 12 Cent je kWh. Für den darüber hinausgehenden Verbrauch wird ein höherer, nicht subventionierter Marktpreis fällig. Mit Abklingen der Gaskrise würde der Deutschlandtarif durch sinkende Gaspreise wieder irrelevant.

Staatliche Kompensation + unsubventionierte Marktkomponente

Anbieten kann den Deutschlandtarif jeder Energieversorger. Die unsubventionierte Marktkomponente wird im Wettbewerb festgelegt. Für das Grundkontingent bekommt der Versorger auf Basis eines Referenzpreises eine staatliche Kompensation. Verbraucht ein Haushalt weniger als sein Grundkontingent, bekommt er im Umfang der aus dem Grundkontingent eingesparten kWh die Gaspreissubvention von seinem Versorger als Prämie ausgezahlt. Das erhöht die Einsparanreize.

Wichtig ist, dass die Bundesregierung schnell die Voraussetzungen für das Angebot eines solchen Sondertarifs schafft. Die Versorger werden ab einem Stichtag verpflichtet, allen Bestandskunden einen Wechsel in den Deutschlandtarif anzubieten. Bei ihren Bestandskunden haben Versorger den Anreiz, sie angemessen für den Verzicht auf günstigere Konditionen ihres Altvertrags zu kompensieren, sollten sie in den Deutschlandtarif wechseln. Die Anreize zum Gassparen würden gestärkt, das Risiko einer Gasmangellage nimmt ab.

Befristet für die Zeit der Energiekrise müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass auch die Abschlagszahlungen für Mieter in angemessenem Rahmen erhöht werden können. Aufgrund der Subventionierung des Grundkontingents würde dies nicht so drastisch erfolgen, wie es ohne den Deutschlandtarif zu erwarten wäre.

Unterstützung unterer und mittlerer Einkommensgruppen muss geklärt sein

Bevor die höheren Preise bei den Haushalten ankommen, muss die Unterstützung unterer und mittlerer Einkommensgruppen geklärt sein.

Der Deutschlandtarif federt zwar die besonderen Härten der Gaskunden ab. Sie sind aber wie die restlichen Haushalte weiteren Belastungen ausgesetzt. Selbst wenn man die bisherigen Entlastungen berücksichtigt, lassen die Preissteigerungen - neben Gas etwa auch bei Kraftstoffen, Heizöl und Strom - für einen Einpersonenhaushalt von Mai 2022 bis April 2023 Kostensteigerungen von durchschnittlich 900 Euro erwarten. Für einen 4-Personen-Haushalt sind es 1200 Euro. Menschen mit geringen bis mittleren Einkommen wird das überfordern. Weitere Hilfen müssen deshalb besonders diese Gruppe erreichen.

Ein einkommensabhängiges und steuerpflichtiges Energiegeld würde diesem Anspruch gerecht werden. Es kann monatlich oder einmalig an Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen ausgezahlt werden. Bei der Einkommensteuererklärung können Berechtigungsanspruch und Höhe überprüft und festgesetzt werden. Auch für Rentner und Studierende muss es bedarfsgerecht zusätzliche Unterstützung geben. Die Probleme der 300-Euro-Energiepauschale aus dem letzten Entlastungspaket bestehen allerdings fort. Es fehlt der Kanal für Direktzahlungen vom Staat an die Bürgerinnen und Bürger. Das ist aufgrund der Planung eines Klimageldes ohnehin im Fokus der Bundesregierung, sollte aber zwingend beschleunigt werden. Andernfalls wäre ein Energiegeld nur auf dem verwaltungsaufwendigen Weg der 300-Euro-Pauschale möglich.

Mehrwertsteuersenkung zugunsten zielgerichteterer Maßnahmen zurückzunehmen

Die daraus zu erwartende finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte ist hoch, insbesondere solange Hilfszahlungen aufgrund der fehlenden Infrastruktur nicht zielgenau realisiert werden können. Der vorgeschlagene Deutschlandtarif dürfte zusammen mit den zusätzlich notwendigen Hilfszahlungen einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag kosten. In den Haushaltsplanungen von Bund und Ländern muss das berücksichtigt werden. Die Absicht, die Schuldenbremse 2023 wieder einzuhalten, verstärkt den Druck für Priorisierungen. Die notwendige Abfederung von Härten bis in die Mitte der Gesellschaft kann dazu führen, dass andere Vorhaben nicht umsetzbar sind oder Finanzierungsspielräume geschaffen werden müssen, etwa durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen. Dazu gehört auch eine Überprüfung des Dienstwagenprivilegs. Der geplante Abbau der kalten Progression sollte in diese Überlegungen einbezogen werden - auch hier kann eine Priorisierung zugunsten kleiner und mittlerer Einkommen und somit eine Anpassung der aktuellen Pläne erforderlich werden. Auch wäre es sinnvoll, die angekündigte Mehrwertsteuersenkung zugunsten zielgerichteterer Maßnahmen zurückzunehmen.

Wichtig wird in jedem Fall ein offener und zeitnaher Austausch zwischen Bund und den Ländern über die Verteilung der öffentlichen Kosten. Die aktuelle Lage gebietet hier ernsthafte und lösungsorientierte Gespräche ohne Denkverbote, egal ob bei der Kostenteilung oder einer möglichen Verbreiterung der Steuereinnahmen.

Weiter Maßnahmen notwendig: Knappheit auf Energiemärkten bis mindestens 2024

Bei all dem darf nicht vergessen werden: Die Knappheit auf den Energiemärkten dürfte bis mindestens Sommer 2024 andauern. Neben den gebotenen Entlastungen sind deshalb weitere Maßnahmen notwendig, die auch mittelfristig Abhilfe schaffen. Insbesondere muss das Energieangebot konsequent gestärkt werden durch die Beschaffung von Gas (und Wasserstoff) auf dem Weltmarkt sowie die kurzfristige Aktivierung des Stromerzeugungspotentials.

Danyal Bayaz ist Finanzminister von Baden-Württemberg. Veronika Grimm ist Professorin für Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Quelle:

Der Beitrag erschien am 04.09.2022 in der F.A.S.

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