Gastbeitrag

Die Zukunft verteidigen

In diesem Gastbeitrag machen Dr. Danyal Bayaz, Prof. Moritz Schularick und Claus Ruhe Madsen Vorschläge, wie die Wachstumseffekte der Verteidigungsindustrie erfolgreich genutzt werden können.

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Finanzminister Danyal Bayaz lehnt an einem Geländer, im Hintergrund sind moderne Bürogebäude am kleinen Schlossplatz in Stuttgart zu sehen.

Der einseitige Vorstoß des amerikanischen Präsidenten im Ukraine-Konflikt und die Rede seines Vizes bei der Münchner Sicherheitskonferenz haben deutlich gemacht: Die USA wenden sich von Europa ab. Das kommt nicht überraschend, es war zu erwarten. Entscheidend ist jetzt, dass wir uns von den USA emanzipieren und verteidigungs- und sicherheitspolitisch unabhängig werden. Das ist nicht nur die zwingende Konsequenz einer veränderten Weltlage, darin steckten auch enorme wirtschaftliche Chance für Deutschland und Europa.

Jahrelang hat die Bundesrepublik die Friedensdividende nach dem Fall der Berliner Mauer bereitwillig konsumiert und Investitionen in die Landes- und Bündnisverteidigung vernachlässigt.

Erst zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die deutschen Verteidigungsausgaben dank des einmaligen Sondervermögens von 100 Milliarden die Zwei-Prozent-Marke der NATO erreicht. Es herrscht aber große Einigkeit, dass die Fähigkeiten, über die das deutsche Militär in der geänderten Bedrohungslage verfügen muss, deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten werden.

Dabei ist noch nicht mal klar, woher das Geld für das veraltete zwei Prozent-Ziel kommen soll, wenn das Sondervermögen 2027 aufgebraucht ist – geschweige denn, wie Ausgaben von drei bis vier Prozent des BIP finanziert werden sollen. Die sind auf absehbare Zeit notwendig.

Grundsätzlich gibt es drei Optionen für die Finanzierung von zusätzlichen Investitionen in unsere Sicherheit: Entweder wir erhöhen Steuern, wir senken die Staatsausgaben an anderer Stelle oder wir nehmen zusätzliche Kredite auf. Gegen Steuererhöhungen spricht die aktuell schwierige Lage unserer Wirtschaft.

An der zweiten Variante – Ausgabenkürzungen an anderer Stelle und Umschichtungen im Bundeshaushalt – wird mittelfristig kein Weg vorbeiführen. Kurzfristig wäre es aber unrealistisch, so viel im Haushalt einzusparen, um höhere Verteidigungsausgaben zu finanzieren.

Damit bleibt als letzte und richtige Option der Weg einer zielgerichteten kreditfinanzierten Investition in die Sicherheit Deutschlands und Europas. Dafür könnte entweder ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr geschaffen oder Verteidigungsinvestitionen aus der Schuldenbremse ausgenommen werden.

Diesen notwendigen Kosten stehen konkrete Chancen und Vorteile für Deutschland gegenüber.

Erstens kostet es auch etwas, wenn man sich nicht verteidigen kann: Im Extremfall kostet es unsere Freiheit und unseren Wohlstand. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat die deutsche Unterstützung der Ukraine die Bundesrepublik etwa 0,15% des Bruttoinlandsprodukts betragen, umgerechnet rund fünf Euro pro Einwohner und Monat. Ein russischer Sieg würde nach Schätzungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft das Zehnfache kosten.

Zweitens wird unsere Verteidigungsunfähigkeit auch handfeste Kosten für die deutsche Wirtschaft haben, falls wir uns demnächst in einem offenen Handelsdisput mit der Trump-Regierung in Washington befinden sollten. Solange Europa verteidigungspolitisch auf die USA angewiesen bleibt, werden wir auch in der Handelspolitik kostspielige Kompromisse schließen müssen, weil wir in Sicherheitsfragen erpressbar bleiben.

Drittens können Verteidigungsausgaben messbare ökonomische Effekte auf Konjunktur und Wachstum haben. Wenn der Staat 100 Milliarden mehr für die Verteidigung ausgibt, dann steigt das Bruttoinlandsprodukt um etwa 60-150 Milliarden. Das ist zwar eine große Spannbreite – und es wäre zu optimistisch davon auszugehen, dass sich Verteidigungsausgaben durch zusätzliches Wachstum quasi von selbst finanzieren. Aber durch die konjunkturellen Effekte liegen die tatsächlichen ökonomischen Kosten kurzfristig deutlich niedriger.

Zudem kann durch den Aufbau moderner Sicherheitsindustrien ein Beitrag zur Abfederung des Strukturwandels geleistet werden.  Die Bundesrepublik und insbesondere Regionen wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sind wichtige Standorte für die europäische Verteidigungsindustrie. Und während in anderen industriellen Branchen Beschäftigung abgebaut wird, stellen Unternehmen der klassischen Verteidigungsindustrie Arbeitskräfte ein. Eine wachsende Sicherheitsindustrie kann in spürbarem Umfang Arbeitskräfte aus Branchen ausnehmen, die sich im Umbruch befinden, etwa aus der Automobilzulieferindustrie oder dem Maschinenbau.

Mittel- bis langfristig können zusätzliche Verteidigungsinvestitionen, insbesondere, wenn sie zu deutlich höheren Forschungs- und Entwicklungsausgaben führen, positive Wachstumswirkungen durch technologische Innovationen und deren Nutzbarmachung für den zivilen Bereich entfalten.  Die Liste der militärischen Innovationen, die zu zivilen Erfolgsgeschichten wurden, ist lang: das Internet, der Düsenantrieb, Satellitennavigation via GPS, aber auch Abstandsradar, Digitalkameras und Nylonstrümpfe. Deutschland hat aktuell die Chance, eine Generation von Militärtechnologie zu überspringen und direkt in die Drohnen und KI-Technologien von morgen zu investieren und perspektivisch unseren technologischen Rückstand in diesen Feldern auch im zivilen Bereich zu schließen.

Vorbild könnten hier die USA selbst sein. Ausgelöst durch den Sputnik-Schock schufen die Vereinigten Staaten eine Behörde für Forschungsprojekte, die der Verteidigung dienen, die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Die Liste der technologischen Entwicklungen, die aus DARPA-Projekten hervorgegangen sind, ist lang und beeindruckend. Allein vier Fraunhofer-Institute in Baden-Württemberg beschäftigen sich mit Militärtechnologie. Dazu gibt es in Heilbronn und Tübingen wichtige Forschungszentren zu Künstlicher Intelligenz. Für die Verteidigungsindustrie wird KI ebenso wie autonome Systeme, Roboter, Cybersicherheit, Sensorik, Drohnen-Technologie und Satellitendaten und -kommunikation zunehmend eine Rolle spielen. Auch in Schleswig-Holstein befassen sich die Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit wesentlichen Themen für die Verteidigungsindustrie. Rund 30 Unternehmen der wehrtechnischen Industrie forschen und entwickeln an Militärtechnologien, um ihre Produkte ständig weiterzuentwickeln. Darunter befinden sich Weltmarktführer mit besonderer Expertise.

Diese Bereiche wären prädestiniert dafür, unter dem Dach einer europäischen DARPA weiterentwickelt und mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet zu werden. Spin-Offs aus diesem Forschungsumfeld können neue innovative Wachstumsfelder schaffen, die auf die europäische Souveränitäts- und Sicherheitsarchitektur einzahlen, aber auch neue Technologien im zivilen Bereich ermöglichen.

Deutschland soll nicht deshalb aufrüsten, weil wir in einer wirtschaftlichen Krise stecken. Russlands brutaler Angriffskrieg und die Neuausrichtung der amerikanischen Politik verlangen eine Antwort. Wir sollten unsere zusätzlichen Investitionen in unsere Sicherheit so einsetzen, dass wir die ökonomischen und technologischen Chancen nutzen, die in dem notwendigen Aufbau von Verteidigungsfähigkeit liegen.

Autoren

Dr. Danyal Bayaz ist Mitglied der Grünen und Finanzminister von Baden-Württemberg.
Claus Ruhe Madsen ist Mitglied der CDU und Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein.
Prof. Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Weiterführende Links

Kurzfassung im Handelsblatt

Interwiev in der Stuttgarter Zeitung