Interview

Innovation und Wachstumskräfte stärken

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Die Landesregierung will sicherstellen, dass Baden-Württemberg seine Spitzenstellung als Industriestandort mit großer Innovationskraft behält. Deshalb setzt sie in ihrer Wirtschaftspolitik auf Wachstumsbereiche wie nachhaltige Mobilität, Energie- und Ressourceneffizienz und Informationstechnologie, so Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid im Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Eine Erhöhung der Steuern hält Schmid für unumgänglich. Dabei präferiert er eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

Stuttgarter Zeitung: Herr Schmid, in der Wirtschaft geht die Furcht vor der Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer Verschärfung der Erbschaftsteuer um. Der Industrieverband LVI hat Sie nun aufgefordert, einen Steuergipfel abzuhalten. Gehen Sie darauf ein?

Nils Schmid: Ja, das habe ich dem LVI gleich auf dem Tag der Baden-Württembergischen Industrie zugesagt. Am Freitag gab es nun auf Arbeitsebene ein Vorbereitungstreffen mit LVI, Industrie- und Handelskammern (IHK) sowie Handwerkstag. Der Steuergipfel selbst soll dann möglichst im März oder April stattfinden.

Was wollen Sie den Unternehmen in Aussicht stellen?

Schmid: Unsere Haltung ist klar. Bei der Erbschaftsteuer sehen wir keinen Bedarf, jetzt in größerem Stil etwas zu ändern, wenngleich das geltende Recht nicht in allen Punkten völlig überzeugend ist. Das Problem ist aber der Bundesfinanzhof, der zu großzügige Verschonungen für das Betriebsvermögen beanstandet. Bei der Vermögensteuer können wir uns eine Wiedereinführung mit Blick auf den steigenden Ausgabebedarf für zum Beispiel Bildung, Forschung und Infrastruktur vorstellen. Die ganz harte Bedingung Baden-Württembergs ist aber: hohe Freibeträge oder die Verschonung von Betriebsvermögen oder eine Kombination aus beidem.

Sehen das alle in Ihrer Partei so?

Schmid: Unser Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schon, aber nicht alle SPD-geführten Landesregierungen. Klar ist aber, dass wir die Debatte zurückstellen müssen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Vorlage des Bundesfinanzhofs entschieden hat. Deshalb hat die SPD auch die Einbringung eines Gesetzentwurfs erst einmal zurückgestellt.

Wen wollen Sie bei der Vermögensteuer schonen?

Schmid: Ganz klar, die Masse der Kleinbetriebe. Ein Betriebsvermögen von fünf Millionen Euro müsste die Grenze sein. Das gilt auch für das Privatvermögen. Eine Million Euro, bei Ehepaaren also zwei Millionen Euro, sollten frei sein. Ganz nebenbei würde das auch den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren.

Steht die Vermögensteuer ganz oben auf Ihrer Agenda?

Schmid: Nein, da sind andere Themen wichtiger, vor allem die Anhebung des Spitzensteuersatzes, die wir für die Schuldenbremse brauchen, und die Anhebung der Kapitalertragsteuer, die sozusagen analog daraus folgt, aber weiter Abgeltungswirkung haben soll. Grundsätzlich ist eines klar: Für Steuersenkungen auf breiter Front gibt es jedenfalls keinen Spielraum.

Der Finanzminister Nils Schmid hat wenig Geld, was will der Wirtschaftsminister Nils Schmid eigentlich gestalten?

Schmid: Tatsache ist zunächst einmal, dass im nächsten Doppelhaushalt alleine im Wirtschaftsbereich etwa 160 Millionen Euro für die Technologie- und Innovationsförderung bereitstehen – so viel wie noch nie.

Welchen Schwerpunkt wollen Sie setzen?

Schmid: Unser zentrales Anliegen ist es, die Innovations- und Wachstumskräfte zu stärken, und da bin ich über unsere erheblichen Mittelansätze froh. So haben wir noch einmal eine Million Euro mehr für das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart im Doppelhaushalt untergebracht. Auf EU-Ebene bietet die nächste Förderperiode für das Programm EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) Chancen, denn da geht es um Innovation. Vorbehaltlich der EU-Beschlüsse im Frühjahr, wie viel Geld überhaupt für EFRE ausgegeben werden wird, haben wir bei der Wirtschaftsministerkonferenz eine innerdeutsche Quote verhandelt, die deutlich mehr Geld nach Baden-Württemberg fließen lassen kann.

Wollen Sie das Geld mit der Gießkanne verteilen?

Schmid: Wir haben klar im Auge, was der Innovationsrat der alten Landesregierung uns als Hausaufgabe mitgegeben hat: die Konzentration auf Wachstumsbereiche. Im Einzelnen geht es um nachhaltige Mobilität, Energie- und Ressourceneffizienz, Informationstechnologie sowie um Gesundheit und Medizintechnik.

Die Innovationskraft Baden-Württembergs ist ja kein Verdienst der amtierenden Landesregierung, sondern Tradition. Das Statistische Landesamt hat das gerade zum wiederholten Male festgestellt, zugleich aber auch moniert, dass es Mängel in der Vernetzung und Koordination der Aktivitäten gibt.

Schmid: Es geht in der Tat darum, die Qualität der Zusammenarbeit zu verbessern. Das haben wir beim Thema Mobilität mit der Landesagentur E-Mobil gut gelöst; da sitzen alle an  einem Tisch – Unternehmen, Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik. Das Gleiche ist der grün-roten Landesregierung jetzt beim Thema Leichtbau gelungen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Querschnittstechnologie, die sich durch die Autoindustrie und den -Maschinenbau bis hinein in die -Bauwirtschaft zieht.

Ist die Landesagentur das bevorzugte Fördermodell?

Schmid: Das hat sich bei Innovationsthemen bewährt. Die Agenturen sind ein Modell, damit Unternehmen mit Finanzierungsbeiträgen reingehen können; bei der Organisation über ein Ministerium ginge das nicht. Die Agenturen sind nicht auf Dauer angelegt, aber sie sind ein Vehikel, um so einen Ansatz hinzubekommen.

Und wie geht es weiter?

Schmid: Als Nächstes wollen wir den Bereich Ressourceneffizienz angehen. Wir sind in Baden-Württemberg zwar nicht rohstoffreich, aber wir sind unheimlich stark bei Materialwissenschaften und bei Produktionsverfahren und damit auch bei Recyclingverfahren, die über die reine Schrottverwertung hinausgehen. Wir planen für Mai einen Rohstoffdialog und eine Reise in die Mongolei; die Bundesregierung hat ja eine Rohstoffpartnerschaft mit der Mongolei abgeschlossen. Auch in der Energie¬effizienz können wir unsere Kompetenzen einbringen. Die Landesagentur Umwelttechnik BW haben wir bereits gegründet, wobei die alte Regierung Vorarbeiten geleistet hat. Eines ist klar: die Energiewende wird nur mit Ingenieurkunst funktionieren, nicht mit Verzichtsrhetorik.

Mit dem Engagement der Industrie sind Sie zufrieden?

Schmid: Sehr. Wir sehen das zum Beispiel bei der Leichtbau-Agentur. Da gibt es über einige Jahre verteilt bereits Zusagen der Industrie in Höhe von etwa neun Millionen Euro parallel zum Engagement des Landes.

Die alte Landesregierung hatte einen Innovationsrat. Wollen Sie so etwas auch?

Schmid: Der Innovationsrat hat einen Riesenerfolg gehabt. Er hat die grün-rote Koalitionsvereinbarung zum Thema Innovation maßgeblich geprägt. Jetzt sind wir in der Umsetzung, und da würde ich die Mitglieder des Innovationsrats gerne einladen, dies zu begleiten und Themen, die damals noch nicht so im Mittelpunkt standen, wie etwa die Energiewende, einzubringen. Diesen Sachverstand würde ich gerne nutzen, über die Strukturen muss man sicher reden.

Irritiert es Sie, dass das Thema Elektromobilität so stark an Schwung verloren hat?

Schmid: Mir war immer klar, dass die Verbesserung des Verbrennungsmotors in den nächsten 20 Jahren noch erhebliches Potenzial hat. Entscheidend ist aber, dass wir uns aufmachen in Richtung Elektromobilität, egal, in welchem Jahr nun der große Durchbruch kommt. Die Erweiterung von E-Lab in Ulm, des Labors für Batterietechnologie, ist da ein gutes Beispiel. Die Politik muss einen Rahmen abstecken, der technologieoffen ist. Unabhängig davon, ob es um Brennstoffzelle, Hybrid oder das klassische Elektroauto geht.

Was bedeutet das Elektroauto für die Jobs?

Schmid: Wir müssen möglichst viele Wertschöpfungsanteile im Land halten. Eine große Aufmerksamkeit haben da die Batterie- und Speichertechnologien – siehe Ulm. Natürlich ist es mein Wunsch, dass die Industrie möglichst viel Wertschöpfung hier in Baden-Württemberg ansiedelt, aber letztlich kann ich natürlich dem Vorstand die unternehmerische Entscheidung nicht abnehmen.

Vor mehr als 20 Jahren hat ein SPD-Wirtschaftsminister, Dieter Spöri, vor einer Monostruktur gewarnt; die Region Stuttgart drohe zum Liverpool der 90er Jahre zu werden, hieß es. Offenbar hat er nicht recht gehabt.

Schmid: Auto und Maschinenbau haben eine enorme Breite, und deshalb ist es ein großer Trumpf, das hier zu haben. Die Entwicklung der produktionsnahen Dienstleistungen wurde damals womöglich ebenso unterschätzt wie das Grundbedürfnis der Menschen nach individueller Mobilität und die Wandlungsfähigkeit des Automobils. Ich habe kein Problem mit der Fokussierung auf die Kernbranche Auto.

Stichwort Demografie: Wird die Industrie genügend Fachkräfte finden?

Schmid: In der Tat geht es nicht nur um Ingenieure, sondern um Fachkräfte. Kurzfristig machen wir die Werbung für die duale Ausbildung www.gut-ausgebildet.de, wir schicken Ausbildungsbotschafter in die Schulen, das sind Gleichaltrige, die schon in der Ausbildung und für ihren Beruf stehen. Langfristig geht es darum, die Potenziale aus unserer Gesellschaft zu heben, also Jugendliche mit Migrationshintergrund und Frauen. Wichtig ist es auch, Unternehmen von Menschen mit Migrationshintergrund als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen. Über Zuwanderung werden wir das Problem nicht lösen können. Das mag vielleicht für den akademischen Bereich gelten, aber nicht für den Fachkräftebereich.

Warum?

Schmid: Weil die duale Ausbildung im Ausland nicht so ausgeprägt ist wie bei uns. Das geht nur, wenn hier noch einmal nachgeschult wird, was nur begrenzt möglich ist. Im Bereich von Facharbeitern stellt sich die Frage von Sprachbarrieren noch einmal anders als bei Ingenieuren. Das kann allenfalls eine Ergänzung sein.

Und die Frauen?

Schmid: Wir können es uns einfach nicht mehr erlauben, dass gut ausgebildete Frauen wegen der Kinderbetreuung im Erziehungsurlaub bleiben müssen; wenn sie anschließend nur in Teilzeit arbeiten können, folgt zu häufig ein Karriereknick. Deshalb ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf über Kleinkindbetreuung und Ganztagsschulen – beides muss der Staat organisieren – so wichtig. Diese Fragen sind für den Wirtschaftsstandort ganz elementar. Es geht nicht mehr nur um Teilzeit- oder Halbtagsarbeit; die Zeiten sind vorbei.
 
Das Interview führte Michael Heller.

Quelle:

Stuttgarter Zeitung