Gastbeitrag

So können die Extra-Schulden ein Erfolg für Deutschland werden

Die neuen Schulden bieten Chancen – wenn das Geld klug eingesetzt wird. Finanzminister Bayaz nennt in einem Gastbeitrag die Voraussetzungen für einen echten Aufbruch.

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Finanzminister Danyal Bayaz lehnt an einem Geländer, im Hintergrund sind moderne Bürogebäude am kleinen Schlossplatz in Stuttgart zu sehen.

Schwarz-Rot plant Schulden in nie dagewesenem Umfang. Baden-Württembergs grüner Finanzminister Danyal Bayaz mahnt: Jetzt braucht es einen klaren Plan, um das Geld sinnvoll einzusetzen.

Das große Finanzpaket ist verabschiedet, das Grundgesetz geändert, der Koalitionsvertrag steht. Das war der eher einfache Teil der Aufgabe, der schwierige beginnt jetzt. Dazu braucht es eine klare Strategie: "How to spend it" – wie wir’s ausgeben sollten.

Nur so vermeiden wir, dass die zusätzlichen Schulden wirkungslos im Haushalt versickern oder für das Bedienen von Einzelinteressen genutzt werden. Oberstes Ziel muss es sein, aus der beschlossenen Reform des Grundgesetzes die größtmöglichen Potenziale für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit herauszuholen.

Dem Koalitionsvertrag sollten wir nicht zu viel Bedeutung beimessen. Wichtiger ist die Frage, ob die neue Bundesregierung angesichts von massiven geopolitischen Veränderungen und einem veralteten Geschäftsmodell der Bundesrepublik über sich hinauswachsen kann.

Auf drei Grundsätze kommt es jetzt an

Eine Chance dazu hat sie verdient. Und mit dem gerade beschlossenen Finanzpaket hat sie sogar eine gute Ausgangslage, jedenfalls eine, von der die Vorgängerregierung nur träumen konnte. In Bezug auf die Nutzung der gerade beschlossenen fiskalischen Spielräume kommt es jetzt auf eine richtige Priorisierung und die Implementierung effizienter Verfahren an. Dabei müssen drei Grundsätze befolgt werden.

Erstens dürfen keine haushaltspolitischen Verschiebebahnhöfe entstehen. Bei der Verteidigung wäre es richtig, die Quote von 1 Prozent im Kernhaushalt des Bundes gemessen am BIP um etwa 0,2 Prozent pro Jahr anwachsen zu lassen. Es wäre ein wichtiges Signal an die Politik selbst, aber auch an die Bürger dieses Landes, dass wir es wirklich ernst meinen mit der Zeitenwende.

Kernaufgaben wie unsere Sicherheit können nicht dauerhaft über Schulden finanziert werden. Beim Sondervermögen Infrastruktur muss zudem in der einzelgesetzlichen Umsetzung darauf geachtet werden, dass konsumtive Ausgaben – auch über Umwege – möglichst ausgeschlossen sind.

Zusätzliche Investitionen – für die Zukunft des Landes

Zweitens muss jede Investition die zwei "Z" erfüllen: Zusätzlichkeit und Zukunftsfähigkeit. Entnahmen aus dem Sondervermögen müssen zusätzliche, also bislang nicht im Haushalt hinterlegte Projekte wie Sanierungen von Gebäuden, Brücken oder Schienen auslösen. Und es darf nicht nur um Beton gehen. Unsere Forschungsinfrastruktur wird entscheidend dabei sein, ob wir bei Künstlicher Intelligenz, BioTech, Klima- und Quantentechnik ebenso wie bei Drohnen und Satellitentechnik vorne mitspielen. Dadurch stärken wir unsere Handlungssouveränität und gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit zurück.

Und drittens müssen Investitionen europäisch gedacht und ausgerichtet werden. Das bedeutet, dass sie auf die technologische und geopolitische Souveränität Europas einzahlen – so wie es Mario Draghi in seinem wegweisenden Bericht für die EU-Kommission skizziert hat.

Damit all das gelingt, wird es sehr auf die konkrete Umsetzung und Weichenstellung der nächsten Monate ankommen. Das staatliche Beschaffungswesen muss modernisiert werden, es braucht schlankere und zügige Verfahren. Dabei müssen trotzdem angemessene Schutzmechanismen gegen überteuerte Vergaben sichergestellt sein. Transparenz über die Mittelverwendung und den Mittelabfluss gewährleisten das und ermöglichen die Überprüfung der Zusätzlichkeit von Investitionen. Außerdem würden so frühzeitige Reaktionen auf mögliche Fehlentwicklungen ermöglicht.

Die Baukapazitäten müssen wachsen

Auch ohne das Sondervermögen Infrastruktur hakt es schon jetzt bei staatlichen Investitionsprojekten. Mal fehlen die Handwerker, mal stören komplexe überbürokratisierte Verfahren oder es fehlt das Personal in unseren Behörden. Mal alles zusammen. Deshalb müssen diese Kapazitäten strategisch aufgebaut und weiterentwickelt werden.

Dazu bedarf es auch einer föderalen Koordination über die Ebene von Bund, Ländern und Kommunen hinweg, damit der Staat sich bei der Auftragsvergabe nicht selbst kannibalisiert und die Preise treibt, ohne tatsächlich mehr zu beschaffen oder zu bauen. Ein wirkungsorientierter Ansatz der Investitionen ermöglicht dazu den bestmöglichen Einsatz öffentlicher Mittel und sichert eine nachhaltig positive Wirkung.

Die Wirksamkeit des Sondervermögens Infrastruktur würde so ebenso erhöht wie durch einfach administrierbare Verfahren für Länder, Kommunen und ihre Stadtwerke beim Mittelabruf. Die Mobilisierung privaten Kapitals sollte dabei weiterhin das prioritäre Ziel der politischen Rahmensetzung sein. Wir sollten den Akteuren unserer sozialen Marktwirtschaft mehr Vertrauen schenken.

Reformen anpacken, nicht aufschieben

Politik neigt allerdings leider dazu, Probleme nacheinander zu lösen. Da die oben genannten Punkte einen hohen Grad an Komplexität aufweisen und voneinander pfadabhängig sind, werden viele Hebel gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden müssen. Daher braucht es regelmäßige Berichte über den Fortschritt, beispielsweise im Rahmen von Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung. Denn alle genannten Punkte gehören in das konkrete Umsetzungsverfahren der Grundgesetzänderung. Sie entscheiden darüber, ob das Vertrauen in die künftigen Koalitionäre bei der Änderung des Grundgesetzes gerechtfertigt war.

Dieses Vertrauen müssen wir ebenso bei unseren europäischen Partnern gewinnen. Die Bundesrepublik muss bei der Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes als größte Volkswirtschaft in der EU vorbildhaft agieren. Wachstumsorientierte Strukturreformen und die Steigerung unseres Potenzialwachstums und der Wettbewerbsfähigkeit würden sich zusätzlich positiv auf die Investitionsspielräume auswirken.

Damit sind wir bei einer bislang nicht klar beantworteten Frage: Nutzen wir die neuen Verschuldungsspielräume, um notwendige Reformen und Veränderungen mutig anzugehen – oder um ihnen für ein paar weitere Jahre aus dem Weg zu gehen?

Das Finanzpaket kann zu einem Befreiungsschlag werden

Hier braucht es keine zig Kommissionen, wie sie von der neuen Regierung angedacht sind. Hier braucht es Entscheidungsfreude und ehrliche Kommunikation: mehr Anreize zum Arbeiten, mehr Generationengerechtigkeit in unserer Rente, Steuerreformen für alle statt Steuererleichterungen nur für Pendler, Gastronomen und Landwirte – und eine moderne Verwaltung, die funktioniert, aber eben auch nicht jeden Einzelfall vorab regelt und den Bürgern jedes Lebensrisiko abnimmt.

Verbunden mit einer Reformagenda kann das Finanzpaket zu einem echten finanziellen, aber auch mentalen Befreiungsschlag werden, wenn die Mittel richtig eingesetzt werden. Die Reaktionen der Finanzmärkte und Ratingagenturen fielen – ganz anders als bei Trumps Zollpolitik – durchweg positiv aus.

Friedrich Merz hat sich in einer einmaligen politischen Aktion unglaublich viel finanzielles Kapital beschafft, dabei aber auch viel politisches Kapital eingesetzt. Er hat nun die Chance zu zeigen, dass es das buchstäblich wert war. Ich möchte, dass er dabei erfolgreich ist – und wir alle mit ihm.

Erschienen am 15.04.2025 bei t-online