Konsequent gegen den systematischen Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel vorgehen - das wollen Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann und Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer. In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. November 2017 fordern sie, die Betreiber von virtuellen Marktplätzen mit in die Pflicht zu nehmen.
„Wir müssen handeln – und das schnell. Wir müssen jetzt gegen den systematischen Betrug beim Internethandel vorgehen. Die Steuerausfälle bewegen sich nach Schätzungen im hohen dreistelligen Millionenbereich. Das können und wollen wir nicht länger hinnehmen. Um Tempo zu machen, schlagen Baden-Württemberg und Hessen eine Bundesratsinitiative vor.
Wir haben gute Gründe: Für uns als Finanzminister bringt hinterzogene Umsatzsteuer weniger Spielraum in den Haushalten. Das ist spürbar. Für ehrliche Unternehmen ist das ein massiver Wettbewerbsnachteil bei einem Marktvolumen zwischen drei und fünf Milliarden Euro. Das kann Existenzen gefährden. Bei den geringen Gewinn-Margen im Onlinehandel können viele nicht mithalten, wenn andere 19 Prozent weniger verlangen. Außerdem legen Händler im Ausland mit zu geringen Zollanmeldungen und nicht lizensierten Nachbauten oft noch einen drauf.
Insbesondere in der Volksrepublik China und in Hongkong sitzen Unternehmen, die Waren in die EU einführen und sie dort bei sogenannten Fulfillment-Dienstleister zwischenlagern. Kunden bestellen online bei diesen virtuellen Marktplätzen, die aus ihren Lagern die Ware liefern und auch gleich den Preis abbuchen. Dass ein Produkt aus dem Ausland kommt, ist für viele Kunden kaum ersichtlich. Weil die Händler aus dem Ausland nicht steuerlich registriert sind, lassen sie die Finanzverwaltung links liegen und kassieren die Umsatzsteuer selbst mit ein.
Es sind vor allem günstige Massenprodukte, bei denen der Wettbewerb massiv einge-schränkt ist. Druckerpatronen etwa, USB-Sticks oder Lichterketten. Es kommt vor, dass asiatische Händler auf den einschlägigen Marktplätzen ein vermeintlich gleiches Produkt um ein Drittel billiger anbieten als hiesige Händler. Tatsächlich wurden die Artikel oftmals munter nachgebaut - ungeachtet der Lizenz- oder Patentrechte. Zurücknehmen wird ein solcher Händler das Produkt nicht. Das deutsche Unternehmen muss das. Ebenso wie die Umsatzsteuer abführen.
Oft kommt noch Betrug beim Zoll dazu: Bei der Einfuhr der Ware in die EU werden Ein-fuhrumsatzsteuer und Zoll hinterzogen. Festgestellt wird das häufig erst bei einer späte-ren Zollprüfung. Dann ist es zu spät; die Ware ist weiterverkauft und der Händler hat noch einen zusätzlichen Gewinn eingestrichen. Hier ist der Bund mit seiner schlagkräftigen Zollverwaltung gefragt. Es wäre viel geholfen, wenn die Einfuhrfälle ausreichend überprüft würden.
Die EU möchte nun eine Bestimmung in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie aufnehmen. Damit könnte die Mehrwertsteuer für die Lieferung an den Endkunden beim Marktplatzbetreiber erhoben werden. Das ist sinnvoll. Es ist aber ungewiss, wann das umgesetzt wird.
Das wollen wir nicht abwarten. Eine Arbeitsgruppe der Finanzressorts von Bund und Ländern hat nach einem klaren Beschluss der Finanzministerkonferenz im Mai ein Mo-dell entworfen. Damit sollen die Marktplatzbetreiber haften, wenn die Umsatzsteuer nicht abgeführt wird. Die Haftung würde greifen, wenn Marktplatzbetreiber die steuerliche Registrierung eines Händlers nicht nachweisen können. Sie wären auch dann in der Pflicht, wenn ein Finanzamt dem Marktplatzbetreiber mitteilt, dass der Händler seinen steuerlichen Pflichten nicht nachkommt. Betreiber könnten die Haftung abwenden, indem sie den Händler vom Marktplatz entfernen.
Die Finanzministerkonferenz wird diesen Vorschlag voraussichtlich am Donnerstag be-schließen. Um die Umsetzung zu beschleunigen, wollen Baden-Württemberg und Hes-sen eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundesrat einbringen. Erst recht so lange keine neue Bundesregierung gefunden ist, müssen wir als Anwälte unserer Unternehmen für Steuergerechtigkeit und Wettbewerbsneutralität aktiv werden. Betrug beim Onlinehandel werden wir nicht auf einen Schlag eindämmen. Aber wir können offensiv dagegen angehen. Gleiche Wettbewerbsbedingungen nutzen der Wirtschaft und den Verbrauchern. Von Protektionismus beim Internethandel halten wir überhaupt nichts. Doch es muss Spielregeln geben, die alle beachten.
Um es klar zu sagen: Wir wollen nicht alle ausländischen Händler pauschal verunglimpfen. Das Hessische Finanzministerium hat in zahlreichen Gesprächen mit Unternehmen aus dem In- und Ausland den Eindruck gewonnen, dass seriöse Anbieter im Ausland bemüht sind, die steuerlichen Vorschriften einzuhalten. Sie stoßen auf Sprachbarrieren und kennen unsere Nachweise nicht. Daher müssen wir Lösungen anbieten, die dem schnell getakteten Internethandel entsprechen.
So einfach wie der Internethandel muss die Umsatzsteuer in diesen Fällen funktionieren. Wir können uns deshalb eine Art Quellensteuer bei den Marktplatzbetreibern gut vorstellen. Das Geld der Kunden ginge netto an den Verkäufer, die Umsatzsteuer direkt an das Finanzamt. Wir könnten mit Anbietern aus Drittländern anfangen, um uns dann für eine EU-weite Regelung stark zu machen. Daran arbeiten wir weiter. Doch um schnell zu handeln, gehen Baden-Württemberg und Hessen jetzt mit der Haftungsregelung voran.“
Quelle: Sitzmann, Edith/ Schäfer, Dr. Thomas: Gleiche Chancen für Händler im Netz; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 29.11.2017, S. 19.
Zur Pressemitteilung: Länder gehen gegen Steuerbetrug im Onlinehandel vor