Finanzminister Dr. Danyal Bayaz war am 17. Mai 2022 auf dem Finanzplatzgipfel in Stuttgart. Das diesjährige Thema war „The evolving relationship between financial services and the real economy“. Die gesamte Rede von Finanzminister Dr. Danyal Bayaz finden Sie nachfolgend.
„Sehr geehrter Herr Voelkel,
sehr geehrter Herr Entenmann,
lieber Herr Schütz,
und liebe Gäste und Diskutanten des Finanzplatzgipfels hier im Weißen Saal des Neuen Schlosses.
vorab möchte ich etwas Grundsätzliches sagen. Jeden Tag erreichen uns schlimme Bilder und Nachrichten aus der Ukraine. Baden-Württemberg hat bisher etwa 100.000 Geflüchtete aufgenommen. Das ist das Mindeste, was wir als Land tun können.
Die vom Bundeskanzler ausgerufene Zeitenwende bedeutet zusätzlich, nicht mehr 'nur' die Transformation zu vollziehen. Sie bedeutet aus Gründen der Sicherheit und unserer Energie-Souveränität das fossile Zeitalter noch schneller als geplant hinter uns zu lassen. Auch dazu, soll dieser Gipfel seinen Beitrag leisten.
Es ist schön, Sie nach zwei Jahren Pandemie zur diesjährigen Finanzwoche persönlich begrüßen zu dürfen.
Für die Landesregierung und für mich ganz besonders ist die Arbeit der Finanzplatzinitiative Stuttgart Financial ein bedeutender Bestandteil der Weiterentwicklung unseres Finanzplatzes.
Die Finanzwoche und der Finanzplatzgipfel sind deswegen wichtige Termine in meinem Kalender.
Ich möchte zur Eröffnung des heutigen Abends auf die Bedeutung des Finanzplatzes und seine Rolle bei den Megathemen Transformation und Digitalisierung eingehen.
Meine Damen und Herren, viele denken oft zuerst an Frankfurt, wenn sie das Stichwort Finanzplatz hören. Ich finde, Stuttgart muss sich nicht verstecken - im Gegenteil.
Deswegen sehe ich es auch als Aufgabe der Landesregierung, den Finanzplatz Stuttgart mehr in das Bewusstsein der Menschen zu heben.
Unser Finanzplatz ist mit rund 500 Akteuren aus dem Banken und Versicherungsbereich der meist diversifizierteste Finanzplatz in Deutschland. Er ist der Vollsortimenter unter den deutschen Finanzplätzen.
Er bietet 140.000 Menschen in Banken, Versicherungen, Bausparkassen oder FinTechs eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Und er sorgt dafür, dass die vielen erfolgreichen Unternehmen im Land ihre Ideen und Innovationen finanzieren können.
Deswegen finde ich das Thema des diesjährigen Finanzplatzgipfels "The evolving relationship between financial services and the real economy" auch passend gewählt.
Überhaupt gibt diese Woche die Besonderheit des Finanzplatzes sehr gut wider.
In Baden-Württemberg liegt die Wiege des Bausparens. Hier wurde die erste Bausparkasse gegründet. Und bis heute ist unser Land deutschlandweit die Nummer eins auf diesem Gebiet. Es ist deswegen kein Zufall, dass die Bausparkassen-Lounge Teil dieser Finanzwoche ist.
Oft vergessen wird auch die Bedeutung der Versicherungen für den Finanzsektor. Mehr als 60.000 Leute arbeiten in unserem Land daran, die Risiken von Menschen und Unternehmen abzusichern. Das ist eine wichtige Aufgabe. Unternehmen können sich so gegen Risiken gewappnet auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren.
Und Arbeit gibt es zum Glück genug bei uns.
In keinem Land gibt es mehr Hidden Champions und einen so starken Mittelstand. Und es gibt die großen Unternehmen wie Bosch, Mercedes oder SAP. Damit sind wir wieder beim Thema des heutigen Abends, der Bedeutung des Finanzsektors für die Realwirtschaft.
Ohne die passenden Finanzierungen sind Innovationen und Wachstum kaum zu leisten. Für unsere Wettbewerbsfähigkeit sind sie eine Grundvoraussetzung.
Mit den drei Säulen sind unsere Banken bestens für diese Aufgabe aufgestellt.
Ohne die großen Institute würde die Finanzierung unserer Konzerne weniger reibungslos funktionieren. Gleiches gilt für den Export und die Begleitung unserer Hidden Champions auch in die entlegensten Winkel der Welt.
Stuttgart beheimatet die größte Landesbank der Bundesrepublik. Auch von der starken LBBW profitieren die vielen erfolgreichen Unternehmen im Land. Durch die Übernahme der BerlinHyp gab es dieses Jahr die erste Erfolgsmeldung für den Finanzplatz.
Vor allem für die Privatkundinnen und -kunden und die kleinen und mittleren Unternehmen sind die 50 Sparkassen, die 144 genossenschaftlichen Finanzinstitute und die Privatbanken vor Ort in Baden-Württemberg unverzichtbar. Sie stellen ein breites Angebot sicher, das ausschließlich digital so nicht möglich wäre. Diese regionale Verankerung, dieser Zusammenhalt vor Ort war es, der Baden-Württemberg in der Finanzkrise einen Vorsprung verschafft hat.
Die regionale Verbundenheit ist im Land besonders ausgeprägt. Das sorgt für eine beachtliche regionale Wertschöpfung!
Und manchmal auch für ein wenig Unterhaltung, wenn ich an die Meinungsverschiedenheiten zwischen Badenern und Schwaben zum 70. Geburtstag unseres Landes denke.
Meinungsverschiedenheiten können aus der Welt geräumt werden. Das gleiche gilt auch für manche Vorbehalte gegenüber dem Finanzsektor.
Banken und Sparkassen haben zuletzt in der schwierigen Zeit der Pandemie Freiberufler, Selbständige und Unternehmen durch Lock-Downs und Lieferengpässe geholfen. Oft haben sie staatliche Corona-Hilfen abgewickelt und haben mit Förderbanken wie unserer L-Bank oder der KfW gut zusammengearbeitet.
Die Banken waren das, was während der Finanzkrise von einigen in Frage gestellt wurde: ein wichtiger und verlässlicher Partner der Realwirtschaft.
Damit das so bleibt, setzen wir uns als Landesregierung für eine Regulierung auf Basis von Proportionalität und Risiko ein. Die Raiffeisenbank in Maitis muss anders reguliert werden als die Deutsche Bank. Die Banken und Sparkassen vor Ort sollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Aber das gute Pandemie-Management und die positive Entwicklung sind für den Finanzplatz kein Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen und mit dem Status Quo zufrieden zu geben.
Ich habe von den Megathemen Transformation und Digitalisierung gesprochen:
Beides sind zentrale Punkte - auch für den Finanzplatz Stuttgart.
Der Krieg in der Ukraine hat zuletzt etwas den Fokus verschoben. Der russische Angriff hat auch für die Finanzindustrie vieles komplizierter gemacht:
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Risiken mussten neu bewertet werden,
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die richtigen und nötigen Sanktionen müssen umgesetzt und befolgt werden,
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die zu uns geflüchteten Menschen brauchen Konten, obwohl sie oft keine Papiere haben.
Und das seit Jahren vorherrschende Niedrigzinsumfeld wird sich angesichts der hohen Inflation wohl schneller als erwartet verändern. Das alles verursacht Anpassungsbedarf.
Trotzdem ändert es nichts an der Tatsache, dass die Transformation hin zu Paris-kompatiblen Geschäftsmodellen und zukunftsfähigen digitalen Anwendungen für die Wettbewerbsfähigkeit der meisten Unternehmen zentral ist.
Das gilt für die Realwirtschaft und den Finanzsektor gleichermaßen.
Herr Entenmann wird sicher etwas aus Sicht der Industrie sagen. Ich will den Fokus auf den Finanzplatz legen.
Für die Versicherungen ist die Bedeutung von Umwelteinflüssen keine Neuigkeit. Sie haben seit jeher Unwetter und Naturkatastrophen abgesichert und reguliert. Neu sind aber das Ausmaß und die Häufigkeit der Unwetter.
Ich erinnere da an die Fluten aus dem letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Als Politik haben wir mit unseren Versicherern deswegen ein gemeinsames Interesse: die Begrenzung des menschengemachten Klimawandels.
Dabei sind wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel das eine - ihre Finanzierung das andere.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie geht von 100 Milliarden Euro zusätzlich nötigen Investitionen in den Klimaschutz aus - pro Jahr. Ohne den Kapitalmarkt und ohne privates Kapital kann diese Summe nie und nimmer erreicht werden.
Und genau da liegt eine große Chance und Aufgabe für den Finanzplatz.
Als Finanzminister eines wohlhabenden Landes weiß ich, dass der Staat nicht alles finanzieren kann - es auch nicht sollte.
Ohne privates Kapital werden wir die notwendige Transformation nicht bewältigen können.
Deswegen ist es wichtig, Kapital eine Richtung zu geben. Eine Richtung dahin, wo es einen positiven Beitrag leisten kann.
Das kann die Finanzierung von Innovationen sein - ohne private Investoren gäbe es viele Unternehmen nicht oder nicht mehr. Sie könnten ihre Ideen einfach nicht umsetzen.
Das kann aber auch die Finanzierung klimaneutraler Prozesse, Waren oder Dienstleistungen sein.
Sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite benötigen dafür Kapital. Für ein klimaneutrales Haus braucht es Material und Handwerker auf der einen, den Bauplatz und die Bauherren auf der anderen Seite. Unsere Banken und Bausparkassen sind hier als Partner gefragt.
Dieses Beispiel lässt sich auch auf größere Maßstäbe anlegen.
Für einen Windpark braucht es die Fläche, die Hersteller und die Ingenieurinnen und Ingenieure. Und es braucht eine umfangreiche Projektfinanzierung.
Wenn ich sage, die Politik soll Kapital eine Richtung geben, dann bedeutet das beim Ausbau der Windenergie folgendes:
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Als Land müssen wir die Flächen ausweisen und wir müssen die Planungsverfahren beschleunigen und vereinfachen. Als Landesregierung haben wir das erkannt und arbeiten daran.
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Der Bund muss seinerseits regulatorische Hürden beseitigen. Mit dem Osterpaket von Robert Habeck läuft auch dort der Prozess.
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Und auch die Regulatoren auf EU-Ebene können und müssen etwas tun. Zum Beispiel sollen durch die geplante Änderung der Solvency-II-Richtlinie Versicherungen stärker in langfristige Infrastrukturprojekte investieren dürfen. Damit könnte beispielweise die W&W-Gruppe in Windparks investieren.
Durch den Angriffskrieg Russlands und die einhergehende Energiekrise ist es nun an allen politischen Ebenen, diese Weichen schneller und früher zu stellen. Dann kann auch unser Finanzplatz seine Möglichkeiten besser entfalten.
Was für die Reform der Solvency-II Richtlinie gilt, kann auf die Arbeiten an der EU-Taxonomie übertragen werden.
Mit der politischen Einigung von Kommission, Rat und Parlament zur Taxonomieverordnung ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Diese Einigung ist ein Kompromiss, der nicht allen gefallen hat. Aber er hat Bestand und es muss jetzt darum gehen, ihn zeitnah und vor allem praxistauglich umzusetzen.
Für das Gelingen des "European Green Deal" der Kommission ist es wichtig, dass durch die Taxonomie ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und nachhaltigen Investitionen geschaffen wurde.
Wie bei der Bankenregulierung geht es nun darum, die Regeln für kleine und mittlere Unternehmen angemessen zu gestalten.
Wenn das gelingt, wird die Taxonomie für die Europäische Union ein Erfolgsprojekt werden.
Europäische Erfolgsprojekte im Bereich der Digitalisierung gibt es wenige, aber es gibt sie.
Auch wenn es Banken und Sparkassen vielleicht etwas anders sehen: für mich gehört die Zahlungsdienste-Richtlinie PSD2 dazu.
Sie hat den Wettbewerb im Finanzsektor angeregt und ist eine Voraussetzung innovativer Geschäftsmodelle aufstrebender Fintechs. Vielleicht hören wir dazu später mehr in der Paneldiskussion.
Fintechs sind ein Baustein zur Weiterentwicklung des Finanzplatzes. Als spezielles Segment von Startup-Unternehmen bringen sie neue Ideen und Dynamik an den Finanzplatz.
Ihre Gründerinnen und Gründer sind sozusagen die neuen Bertha Benz' und Gottlieb Daimlers des Finanzsektors.
Immerhin beheimatet Baden-Württemberg fast 50 aktive Fintechs. Sie verteilen sich über das ganze Land. Das ist die Besonderheit Baden-Württembergs gegenüber den bekannten Startup-Hotspots. Und es ist eine gute Basis, die aber weiter ausbaubar ist.
Denn die Voraussetzungen für Fintechs sind gut. Es gibt einen guten Zugang zu Mittelstand und Industrie. Und die herausragende Hochschullandschaft schafft einen großen Pool an jungen Fachkräften aus allen Bereichen.
Zusätzlich verfügt die Börse Stuttgart als wichtiger Teil des Finanzplatzes über das größte Digital- und Kryptogeschäft aller europäischen Börsengruppen.
Dazu wird Herr Voelkel sicher etwas mehr sagen.
Ich wünsche Ihnen einen spannenden Abend mit guten Diskussionen und übergebe an Sie, Herr Voelkel.
Herzlichen Dank."