„Vor 70 Jahren wurde unser schönes Bundesland, the Länd Baden-Württemberg, gegründet. Seitdem haben wir uns wirtschaftlich enorm weiterentwickelt. Genau wie die Börsen-Zeitung, ebenfalls eine Erfolgsgeschichte, die vor 70 Jahren ihren Lauf genommen hat.“ Finanzminister Dr. Danyal Bayaz am 19. Mai 2022 auf der Jubiläumsfeier der Börsen-Zeitung. Die gesamte Rede finden Sie nachfolgend.
„Sehr geehrte Frau Pütz,
sehr geehrter Herr Padberg,
liebe Frau Weymayr, liebe Gäste,
ich möchte Sie alle herzlich willkommen heißen und auch die besten Grüße des Ministerpräsidenten überliefern. Es fällt mir nicht ganz leicht in der Zeit, in der wir leben, direkt zur Tagesordnung überzugehen.
Wir feiern heute das 70-jährige Jubiläum der Börsen-Zeitung.
Trotz der traurigen Bilder und Nachrichten, die uns in den letzten Wochen aus der Ukraine erreicht haben, finde ich es wichtig, auch die positiven Dinge im Hier und Jetzt nicht zu vergessen. Daraus ziehen Menschen Kraft und Zuversicht.
Natürlich werden wir weiter den Menschen aus der Ukraine helfen. Allein fast 100.000 Geflüchtete sind bisher nach Baden-Württemberg gekommen. Das Mindeste was wir tun können, ist ihnen eine Unterkunft und eine gute Versorgung zu geben. Das versuchen wir, mit all unser Kraft. Das ist unsere humanitäre Verantwortung.
Über die menschlichen Tragödien und Katastrophen des Krieges hinaus gibt es weitere Dinge, die vielen von uns neu bewusstgeworden sind.
Die Notwendigkeit der Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Energien ist das Offensichtlichste. Viele Lieferungen kommen aus autokratischen, teils diktatorischen Staaten.
Einige aus Politik und Wirtschaft wollten lange nicht sehen, dass einseitige Abhängigkeiten zur Bedrohung werden können: für unsere Versorgungssicherheit, für unseren Wohlstand.
Auch die Bedeutung unabhängiger Medien für eine freie und liberale Gesellschaft wurde uns in den letzten Wochen eindrücklich vor Augen geführt.
Während die russische Bevölkerung nur die Informationen bekommt, die Wladimir Putin in seinem Sinne manipulieren lässt, bekommen die Menschen in Europa ein vollständiges Bild über den Verlauf und die Gräueltaten des Kriegs in der Ukraine.
Viele Nachrichten schmerzen, weil das Vorgehen der russischen Soldaten zum Teil sehr brutal und menschenverachtend ist. Aber für die öffentliche Meinungsbildung in einer Demokratie sind sie wichtig. Sagen, schreiben, zeigen, was ist. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.
Es ist deswegen kein Zufall, dass 1989 der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die Presse als "Artillerie der Freiheit" bezeichnet hat. Er hat das in Bezug auf die Rolle der Presse in den sozialistischen Staaten Osteuropas gesagt.
Heute sehen wir, welchen Unterschied Meinungsfreiheit und freie Medien machen.
Es ist deswegen eine schlechte Nachricht, dass die Bundesrepublik in der "Rangliste der Pressefreiheit" von Reporter ohne Grenzen, hinter Staaten wie Jamaika und den Seychellen zurückgefallen ist.
Der Hauptgrund dafür waren Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten bei Protestveranstaltungen aus dem "Querdenker"-Spektrum, das von Corona-Leugnern, teils gewaltbereiten Neo-Nazis und anderen Staatsfeinden gespeist ist.
Es sind gerade auch große Teile dieser Gruppe, die auch großes Verständnis für den russischen Präsidenten haben. Das sagt viel über die Einstellung dieser Menschen zur Freiheit und zur Demokratie aus.
Es ist wichtig, dass unser Rechtstaat wehrhaft bleibt und sich gegen die offensichtlichen Feinde unserer Demokratie wappnet. Der Schutz von Medienvertreterinnen und -Vertretern bei solchen Veranstaltungen gehört dazu.
In Baden-Württemberg haben wir mit dem letzten Landeshaushalt für das Jahr 2022 eine bessere Ausstattung von Polizei und Justiz in genau diesen Bereichen beschlossen. Das löst nicht alle Probleme. Aber es hilft und ist ein wichtiges Zeichen im Kampf gegen Hass, Hetze und FakeNews.
Die Bundesrepublik steht auf Platz 16 von 180 Staaten in diesem Ranking. Das ist noch immer nicht schlecht. Aber die Entwicklung zeigt, dass wir wachsam sein müssen.
Für die Freiheit unserer Gesellschaft haben unabhängige und freie Medien eine herausragende Bedeutung.
Die "vierte Gewalt" hat als Ergänzung zu Montesquieus klassischen Staatsgewalten eine Kontrollfunktion, die autoritären Staaten wie Russland fehlt.
Oder auch in der Türkei, einem Land, mit dem ich persönlich sehr verbunden bin, sieht man, wo sich eine Gesellschaft hin entwickelt, wenn Journalisten dafür eingesperrt werden, dass sie ihren Job machen.
Diese Kontrollfunktion erstreckt sich nicht nur auf Gesellschaft, Politik und die Justiz. Sie erstreckt sich auch auf unsere Wirtschaftsordnung, unsere Unternehmen. Sie ist Wesenskern unserer sozialen Marktwirtschaft. Darauf werde ich noch etwas ausführlicher eingehen.
Und ich möchte erläutern, welche Bedeutung Medien wie die Börsen-Zeitung für die Finanzbildung haben.
Bevor ich Finanzminister Baden-Württembergs hier in Stuttgart werden durfte, war ich fast vier Jahre lang Bundestagsabgeordneter. Es war eine spannende und eine lehrreiche Zeit.
Besonders die letzten Monate waren intensiv. Im Oktober 2020 hat der Wirecard-Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Der Ausschuss hätte vielleicht nie ins Leben gerufen werden müssen.
Schon im Jahr 2015 erschien eine Serie der Financial Times zum Unternehmen.
Der Titel der Reihe lautete "House of Wirecard". Damit wurde suggeriert, dass die Erfolgsgeschichte Wirecards wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen könnte.
Der junge Autor - Dan McCrum - sollte Recht behalten.
Ich bin sicher, der Schaden für Anleger und der Schaden für das Ansehen des Finanzplatzes wären sehr viel geringer ausgefallen, wenn die Arbeit des Journalisten und seiner Kollegen stärker gewürdigt worden wäre.
Leider haben viele Menschen und Institutionen, egal ob Wirtschaftsprüfer, Finanzaufsicht, Staatsanwaltschaft oder Politiker, im Fall Wirecard keine gute Figur abgegeben.
Während das Unternehmen noch einige Jahre seine Bilanzen manipulieren konnte, wurde Dan McCrum vom Unternehmen und Privatdetektiven und auch von deutschen Behörden massiv unter Druck gesetzt.
Gemeinsam mit seiner Kollegin Stefania Palma hat er weitere investigative Artikel zu Wirecard veröffentlicht. Dafür wurden beide von der deutschen Finanzaufsicht bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Ihre journalistische Arbeit wurde nicht nur nicht gewürdigt, sie wurde ihnen zum Vorwurf gemacht.
Ich persönlich fand diesen Vorgang unwürdig. Das Agieren hat dem Ansehen und der Integrität des Finanzplatz Deutschland weltweit geschadet.
Um diesen Schaden zumindest ein wenig zu beheben und die Arbeit der Journalisten zu würdigen, habe ich die Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik an Stefania Palma und Dan McCrum vorgeschlagen.
Aber McCrum und Stefania Palma waren nicht die einzigen, die Ungereimtheiten in den Bilanzen und Geschäftsberichten von Wirecard entdeckt und darüber berichtet haben.
In der Bundesrepublik war es das Manager Magazin, das 2017 über ein "250-Millionen-Euro-Rätsel des Börsenwunders Wirecard" berichtete.
Auch zu diesem Zeitpunkt kannten das Unternehmen nur Insider und es war noch nicht im DAX gelistet.
Dort wurde Wirecard erst eineinhalb Jahre später aufgenommen. Die Deutsche Börse hat aus dem Fall Wirecard ihre Schlüsse gezogen und die Kriterien für die Listung in ihren Indizes überarbeitet.
Auch die Finanzaufsicht, die Wirtschaftsprüferaufsicht und das Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer wurden reformiert.
Anstoß all dieser Veränderungen war die Arbeit hartnäckiger Journalisten. Die Verfasstheit unserer Marktwirtschaft und des Finanzplatzes sind durch ihre Arbeit besser geworden.
Sie haben so einen Beitrag geleistet, den die klassischen Staatsgewalten ohne sie nicht erbracht haben.
Meine Damen und Herren, es war zwar nicht die Börsen-Zeitung, in der die angeführten Artikel zu Wirecard zuerst erschienen sind.
Aber die Börsen-Zeitung hat wie andere Medien die Arbeit des Untersuchungsausschusses eng begleitet. Und sie hat so bei der Aufarbeitung des größten Bilanz-Skandals geholfen, den es in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat.
Anders als manch andere, war die Börsen-Zeitung auch vor Ort, wenn kein Minister oder die Bundeskanzlerin vernommen wurde und es oft bis tief in die Nacht um die Feinschmecker-Themen unserer Finanzmarktregulierung und des Finanzplatzes ging.
Auch diese Diversifizierung und die Spezialisierung von Medien gehören zu unserer freien Gesellschaft. Und für die soziale Marktwirtschaft ist es wichtig, dass es Medien wie die Börsen-Zeitung gibt, die auf unseren Finanzsektor und den Finanzplatz fokussiert sind.
Vor 70 Jahren hieß es im Editorial der ersten Ausgabe, die Börsen-Zeitung wurde gegründet, um dazu beizutragen das "Börsengeschäft zu beleben und zu fördern".
Die beste Förderung des Börsengeschäftes besteht in meinen Augen in einer guten Finanzbildung und in einem soliden Finanzwissen.
Nur wer versteht, wie Zins und Inflation wirken, was ein diversifiziertes Anlageportfolio ausmacht oder was der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn ist, der oder die kann sich an der Börse sicher bewegen.
Dafür sind spezialisierte Zeitschriften und Zeitungen wichtig. Und kluge Köpfe, die die Geschichten aufschreiben. Sauber recherchiert, unabhängig und so erklärt, dass der Leser sie versteht.
Heute kommt dazu, dass diese Medien auf der Höhe der Zeit agieren müssen. Mit E-Paper, Social-Media-Kanälen, Podcasts und Newslettern hat die Börsen-Zeitung sich der Dynamik gestellt.
Diese neuen Möglichkeiten helfen dabei, das Finanzwissen der Menschen zu erweitern.
Im Jahr 2015 twitterte eine Gymnasiastin aus Köln:
"Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen."
Mit diesen knapp 140 Zeichen löste die Schülerin eine veritable Bildungsdebatte in der Bundesrepublik aus.
Viele Medien bis hin zum Boulevard haben damals darüber berichtet.
Erst durch die Aufmerksamkeit über Twitter sind viele Medien- und Verlagshäuser auf das Thema gestoßen.
Die Börsen-Zeitung hingegen, begleitet die Debatte stetig. Allein durch ihren auf den Finanzmarkt fokussierten Inhalt leistet sie ihren Beitrag auch dafür, dass Anlegerinnen und Anleger gute, solide Entscheidungen treffen.
Zu einer Zeit, in der die Eigenverantwortung für die Altersversorgung an Bedeutung gewinnt und die langanhaltende Niedrigzinsphase auf hohe Inflationsraten trifft, braucht’s genau diese Form Information.
In Baden-Württemberg hat die Landesregierung - auch als Reaktion auf den Tweet der Schülerin aus Köln - das Schulfach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung eingeführt.
Das ZEW in Mannheim forscht zum Zusammenspiel von Finanzbildung mit den Finanzmärkten und der Altersvorsorge.
Als Land versuchen wir, die ökonomische Allgemeinbildung so zu verbreitern und Ansatzpunkte zu finden, wie wir uns verbessern können.
Ich bin froh, dass wir dabei von kompetenten Journalistinnen und Journalisten unterstützt werden.
Meine Damen und Herren, vor 70 Jahren wurde unser schönes Bundesland, the Länd Baden-Württemberg, gegründet. Seitdem haben wir uns wirtschaftlich enorm weiterentwickelt. Genau wie die Börsenzeitung, ebenfalls eine Erfolgsgeschichte, die vor 70 Jahren ihren Lauf genommen hat. Ich wünsche uns noch einen langen gemeinsamen und vor allem erfolgreichen Weg.
Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch!"